(Veröffentlichungen der UEK, Band 21, Bestellung direkt beim Chronos Verlag)

Schweizerische Bodenkreditanstalt.
«Aussergewöhnliche Zeiten bringen aussergewöhnliche Geschäfte». Beitrag zur Forschung

Barbara Bonhage

Zusammenfassung

Dieser Forschungsbeitrag analysiert die Aktivitäten der Schweizerischen Bodenkreditanstalt (SBKA) im nationalsozialistischen Deutschland. Das Fallbeispiel zeigt, wie ein Schweizer Unternehmen mit der Wirtschaft des Nationalsozialismus interagieren konnte, und stellt darüber hinaus dar, wie sich schweizerische Behörden gegenüber einem Unternehmen positionierten, das während des Krieges Geschäfte abwickelte, welche die deutsche Rüstungswirtschaft unterstützten. Für die Nachkriegszeit wird dargestellt, wie einerseits die Bank selbst, andererseits die Behörden diese Aktivitäten beurteilten. Die in diesem Beitrag geschilderten Vorgänge beziehen sich zwar ausschliesslich auf die in Zürich domizilierte, relativ kleine Bank und können nicht verallgemeinert werden. Die Haltungen und Handlungsweisen der Akteure der Privatwirtschaft und des Bundes weisen jedoch insofern über das konkrete Beispiel der SBKA hinaus, als sie Mechanismen offenlegen, wie sie auch für andere Unternehmen und Institutionen beschrieben werden könnten.

Wegen der negativen wirtschaftlichen Folgen, die der Erste Weltkrieg mit sich brachte, reduzierte die SBKA ihr Engagement in Deutschland, das sie seit 1906 aufgebaut hatte, schon in den zwanziger Jahren massgeblich. So hatte sie 1919 rund ein Drittel, nämlich 55,2 Mio. Franken, ihrer hypothekarischen Anlagen in Deutschland vergeben und wies ein Deutschlandengagement von insgesamt 77,5 Mio. aus. Infolge bedeutender Abschreibungen besass sie 1927 nur noch Positionen in der Höhe von 7,7 Mio. Franken in Deutschland. Als die deutschen Devisenvorschriften im Juni 1931 in Kraft traten, verfügte die Bank über Hypothekardarlehen, Bankguthaben und Ausleihungen an Debitoren in Deutschland sowie über einen Bestand an deutschen Wertpapieren in der Höhe von zusammen 13,6 Mio. Franken. Durch den Abbau ihrer deutschen Hypothekardarlehen ergab sich in den folgenden Jahren ein Sperrmarkguthaben von insgesamt 6,1 Mio. Mark bei deutschen Banken, über das sie wegen der Devisenbewirtschaftung nicht frei verfügen konnte. Infolge mehrfacher und ausführlicher Verhandlungen gelang es der SBKA dennoch, in den Jahren bis 1945 ihr deutsches Engagement bis auf einen Betrag von 1,7 Mio. Franken zu liquidieren.

Durch die Übernahme von 28% des Aktienkapitals der Bodenkreditanstalt durch die Schweizerische Kreditanstalt (SKA) entstand seit 1903 eine enge Beziehung zwischen der Schweizerischen Kreditanstalt und der Hypothekarbank. Mehrfach – so auch während des Krieges – war der Verwaltungsratspräsident der Grossbank identisch mit demjenigen der Hypothekarbank: zwischen 1941 und 1945 hatte Adolf Jöhr diese Position inne. Die Aufgabe, sich um die Engagements in Deutschland zu kümmern, oblag aber schon in den zwanziger Jahren einem Direktor der Bank, Wilhelm Schulthess. Er war somit auch während der Zeit des Nationalsozialismus für die Sperrmarkliquidationsgeschäfte zuständig. Schulthess, ein Neffe von alt Bundesrat Edmund Schulthess, erhielt die nötigen Bewilligungen für diese Geschäfte nicht nur von den zuständigen Schweizer Behörden, sondern trat bis Kriegsende mehrfach auch in Kontakt mit deutschen Regierungsstellen. Im Umfeld der Person Hermann Görings als Beauftragter der Vierjahresplanbehörde etablierte Schulthess ein Netzwerk zur Liquidation der in Deutschland gesperrten Markbestände der Schweizerischen Bodenkreditanstalt. Im Rahmen des persönlichen Netzwerkes, das Schulthess aufbaute und welches ihn auch mit dem Teilhaber der Eisenhandelsfirma Otto Wolff, Rudolf Siedersleben, zusammenführte, kam es ausserhalb der Sperrmarkliquidationsgeschäfte zu einer weiteren, im nachhinein von den Vertretern der SBKA als «bedenklich» bezeichneten Transaktion: die SBKA ermöglichte den Verkauf von Wertpapieren in der Schweiz, von denen sie annehmen musste, dass sie wahrscheinlich in den besetzten Gebieten geraubt worden waren. Die Firma Otto Wolff verwertete diese im Auftrag der Vierjahresplanbehörde Görings zur Devisenbeschaffung für das «Dritte Reich».

Die SBKA erhielt von den deutschen und Schweizer Behörden die Genehmigung, einen Teil ihrer Sperrmark zur Bezahlung von Eisenwaren zu verwenden, die aus Deutschland in die Schweiz geliefert wurden. Sie liess sich daraufhin von den Schweizer Importeuren der Waren den Gegenwert der Sperrmark in Franken vergüten. Während die SBKA zwischen 1933 und dem Beginn des Krieges auf diese Weise ihre in Deutschland gesperrten Markbestände reduzierte, stellten solche Handelsgeschäfte für die deutsche Seite auch eine Form der Devisenbeschaffung dar: weil die SBKA die Schweizerische Verrechnungsstelle (SVSt) von der Kriegswichtigkeit der Importe überzeugen konnte, liess die SVSt beispielsweise 1938 zu, dass die Schweizer Importeure 25% des Kaufpreises der Waren in freien Devisen beglichen, während das deutsch-schweizerische Verrechnungsabkommen damals lediglich eine Devisenspitze von 17% vorsah.

Als der zwischenstaatliche Handel mit dem Beginn des Krieges auf dem Kontinent weiter eingeschränkt wurde, gelang es der SBKA nicht mehr, die nötigen Bewilligungen für solche Handelsfinanzierungsgeschäfte zu erhalten. Schulthess suchte daher seit 1941 nach einer anderen Möglichkeit, die in Deutschland gesperrten Markbestände zu liquidieren: er organisierte die Lieferung des kriegswichtigen Rohstoffes Wolfram aus Spanien nach Deutschland. Die SBKA trug in den Jahren 1942, 1943 und 1944 je rund 3% zum damaligen Jahresbedarf des «Dritten Reichs» an Wolfram bei. Der Rohstoff war insbesondere in der Rüstungswirtschaft zur Härtung von Stählen von Bedeutung. Als Gegenleistung für die Vermittlung von Wolfram erhielt die SBKA vom Reichswirtschaftsministerium die Erlaubnis, Sperrmark in Franken umzuwandeln und in die Schweiz zu transferieren.

Gegenüber ihren Aktionären wies die SBKA seit 1930 kein Auslandengagement mehr aus. Sie hatte sämtliche Positionen in Deutschland durch interne Rückstellungen in derselben Höhe ausgeglichen. Weil die Transaktionen zur Sperrmarkliquidation in der Bilanz nicht sichtbar wurden und damit auch das Wolframgeschäft nach aussen nicht erkennbar war, gelang es der Bank, diese Aktivitäten gegenüber den Alliierten zu verheimlichen: die SBKA wäre sonst auf die Schwarze Liste der Alliierten gesetzt worden. Als diese während des Krieges tatsächlich Verdacht schöpften, dass die SBKA kriegswichtige Dienste zu Gunsten des «Dritten Reichs» leistete, gelang es Adolf Jöhr, glaubhaft zu versichern, dass die SBKA keinerlei Auslandsaktivitäten durchführe.

Nach dem Krieg stellte sich heraus, dass die SBKA illegale Zahlungen zu Gunsten der an der Sperrmarkliquidation beteiligten einflussreichen deutschen Persönlichkeiten erbracht hatte: einige unter ihnen hatten Schmiergelder in Schweizer Franken ausserhalb des Clearings erhalten. Die SBKA musste auf Verfügung der SVSt einzelne Beträge nachträglich dem Clearingkonto gutschreiben. Die Vermittlung von Wolfram war dagegen nicht illegal. Auch richtete sich die Aufmerksamkeit der Alliierten nach dem Krieg nicht auf dieses Geschäft, sondern vielmehr auf die Verschiebung von Vermögenswerten zu Gunsten von Deutschen in die Schweiz. Die SVSt bemühte sich daher auch nach dem Krieg in übereinstimmendem Interesse mit der Bank, das Wolframgeschäft gegenüber der Öffentlichkeit weiterhin zu verheimlichen. Sie bezeichnete es in ihren Akten codiert als Y-Geschäft.

Konsequenzen hatte die Revision durch die SVSt für Wilhelm Schulthess. Im Verlauf der parallel zur Revision durchgeführten bankinternen Untersuchung stellte sich heraus, dass er sich an den Geschäften persönlich bereichert hatte. Die Bodenkreditanstalt forderte ihren Direktor zu Beginn des Jahres 1946 zum Rücktritt auf. Schulthess verliess die Bank, nicht ohne von ihr für seinen Lebensunterhalt eine Pension zugesichert zu erhalten. Ausser Schulthess waren, wie sich im Rahmen der Untersuchungen gegen die SBKA herausstellte, zwei weitere Personen an den Geschäften massgeblich beteiligt: Wilhelm Oeding hatte Schulthess mehrfach den Zugang zu den Büros der massgebenden Entscheidungsträger in der deutschen Regierung verschafft. Der Zürcher Anwalt Wilhelm Frick spielte in der Schweiz eine zentrale Rolle. Frick, Oeding und Schulthess unternahmen kurz vor Kriegsende den Versuch, die in die Schweiz abgesetzten deutschen Vermögenswerte Oedings in einer komplizierten Firmengründungsaktion zu tarnen. An dieser Tarnung waren nicht nur die genannten drei Personen beteiligt, vielmehr hatten einige der Verantwortlichen der Bodenkreditanstalt davon Kenntnis oder beteiligten sich aktiv an der Vermögensverschiebung.

Einer der Mitarbeiter der Bodenkreditanstalt denunzierte kurz vor Kriegsende Direktor Schulthess zunächst gegenüber dem Sicherheitsdienst der Armee und später auch gegenüber der SVSt. Der Gewährsmann, der anonym bleiben wollte, hatte die Verrechnungsstelle nicht nur von den genannten Geschäften der SBKA im Rahmen der Sperrmarkliquidation in Kenntnis gesetzt, sondern auch von der Tarnung der in die Schweiz transferierten Gelder Oedings. Der SVSt gelang es daher, Frick dazu zu bringen, dass er die getarnten Vermögenswerte Oedings nachträglich gemäss Sperrebeschluss für die in der Schweiz liegenden deutschen Vermögenswerte vom Februar 1945 bei der SVSt anmeldete. Oeding konnte zwar erst innerhalb der folgenden zehn Jahre einen Teil seines Guthabens wieder von der Sperre befreien. Er behielt aber eine Liegenschaft an bester Zürcher Adresse in seinem Besitz. Die Verschiebung von Vermögenswerten über die SBKA aus Deutschland in die Schweiz war damit für Oeding wenigstens teilweise gelungen.