(Veröffentlichungen der UEK, Band 18, Bestellung direkt beim Chronos Verlag)

Die Schweiz, der Nationalsozialismus und das Recht.
I. Öffentliches Recht

UEK (Hg.)

Zusammenfassungen


La science juridique suisse et le régime national-socialiste (1933–1945)
Die schweizerische Rechtslehre und das NS-Regime (1933–1945)

Jean-François Aubert

Der Autor untersucht in seinem Gutachten die Beziehung zwischen der schweizerischen Rechtswissenschaft und dem NS-Regime. Im Zentrum steht die grundsätzliche Frage, wie sich bekannte – mehrheitlich im Bereich des öffentlichen Rechts tätige – Juristen im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit zur nationalsozialistischen Rechtsideologie geäussert haben. Untersuchungsgegenstand sind die Publikationen renommierter Juristen in den Jahren 1933–1945, die wissenschaftliche Diskussion um die Totalrevision der schweizerischen Bundesverfassung in den Jahren 1933–1935 sowie die Interessenbereiche, die im fraglichen Zeitraum im Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung standen.

Im ersten Teil der Arbeit werden die relevanten Publikationen (Lehrbücher, Aufsätze und Reden) von sechs bekannten Juristen (Fritz Fleiner, Walther Burckhardt, August Egger, Eduard His, Dietrich Schindler sen., Zaccaria Giacometti) analysiert. Die Untersuchung zeigt, dass sich diese Vertreter der schweizerischen Rechtswissenschaft deutlich von der NS-Rechtsideologie distanzierten. Grundsätzlich bestätigt wird dieses Bild in den untersuchten Rezensionen, in denen sich ebenfalls die Ablehnung der Schweizer Juristen gegenüber der NS-Rechtslehre äussert. Exponenten der schweizerischen Rechtswissenschaft, die öffentlich Sympathie für das NS-Regime bekundeten, bildeten eine Ausnahme.

In der Diskussion um die Totalrevision der schweizerischen Bundesverfassung in den Jahren 1933–1935 bezog die Mehrheit der Schweizer Staatsrechtler Position gegen eine autoritäre Umwälzung der schweizerischen Verfassungsordnung. Traditionelle Werte wie Demokratie, Föderalimus und Rechtsstaatlichkeit sollten nach herrschender Auffassung weiterhin für die Staatsgestaltung massgebend sein. Eine Anpassung an das nationalsozialistische Staatsverständnis wurde in diesem Sinn abgelehnt.

Auffallend ist, dass sich die schweizerische Rechtswissenschaft in den Jahre 1933 bis 1945 äusserst wenig mit dem NS-Regime auseinandersetzte. Keinen bzw. nur einen sehr schwachen Bezug zur nationalsozialistischen oder faschistischen Rechtslehre wiesen insbesondere die Themenbereiche auf, welche an den Jahrestagungen des Schweizerischen Juristenvereins diskutiert wurden. Geringe Beachtung fand das NS-Regime auch in den Beiträgen der Schweizerischen Juristenzeitung, der wohl wichtigsten Rechtszeitschrift der Schweiz zu jener Zeit. Dieses Desinteresse gegenüber den Ereignissen in Deutschland manifestiert sich auch in den – weit von der NS-Ideologie entfernten – Themenbereichen (z.B. Arbeitsrecht, Steuerrecht, kantonales Strafrecht, Reform des Bundesgesetzes über die Bundesrechtspflege usw.), mit denen sich die schweizerische Rechtswissenschaft im fraglichen Zeitraum befasste.

(Originalversion auf französisch)


Fragen des Neutralitätsrechts im Zweiten Weltkrieg

Dietrich Schindler

Der Beitrag befasst sich mit Fragen des Neutralitätsrechts, die sich im Rahmen der UEK-Studien über den Transitverkehr, den Kriegsmaterialexport, die Aussenwirtschaftspolitik und das Clearing stellen. Der Untersuchung der Einzelfragen wird eine Würdigung des im Zweiten Weltkrieg zur Anwendung gelangten Neutralitätsrechts vorangestellt.

Als neutraler Staat unterstand die Schweiz im Zweiten Weltkrieg dem Neutralitätsrecht. Das Neutralitätsrecht hatte sich im 19. Jahrhundert zu einem tragenden Teil des Völkergewohnheitsrechts verdichtet und wurde in der Folge im V. und XIII. Haager Abkommen von 1907 kodifiziert. Diese Abkommen sind im Kontext der traditionellen Kriegführung des 19. Jahrhunderts zu situieren: für viele Probleme des modernen Kriegs boten sie keine Lösung. Das Neutralitätsrecht spielte so auch im Zweiten Weltkrieg nur eine bescheidene Rolle, dies umso mehr, als die Kriegführenden in weitem Umfang ihre Verpflichtungen gegenüber den Neutralen missachteten. Diese Neutralitätsverletzungen führten allerdings nicht zu einer Aufhebung oder Abänderung des Neutralitätsrechts.

Mit dem Neutralitätsstatus sind nach allgemeinem Völkerrecht Rechte und Pflichten des neutralen Staates verbunden. Die in den Haager Abkommen aufgeführten Pflichten beschränken sich im wesentlichen auf das Verbot, einem Kriegführenden Kriegshilfe zu leisten (Enthaltungspflicht), und die Pflicht, die Kriegführenden an der Benützung ihres Gebietes zu militärischen Zwecken zu hindern (Verhinderungs- oder Abwehrpflicht). Eine allgemeine Pflicht zur wirtschaftlichen Neutralität besteht hingegen nicht: Grundsätzlich hat der neutrale Staat ein Recht auf Handelsverkehr mit allen Kriegführenden. Der Neutrale ist nicht dazu verpflichtet, die Pressefreiheit und überhaupt die freie Meinungsäusserung seiner Bürger aus Rücksicht auf die Kriegsparteien einzuschränken.

Die Frage, ob sich die Schweiz im Zweiten Weltkrieg an ihre neutralitätsrechtlichen Pflichten gehalten hat, stellt sich insbesondere im Zusammenhang mit der Ausfuhr und der Durchfuhr von Kriegsmaterial. Nach den Haager Abkommen ist die Ausfuhr von Kriegsmaterial seitens eines neutralen Staates an einen kriegführenden Staat verboten, ebenso wie die Durchfuhr von Kriegsmaterial eines kriegführenden Staates durch neutrales Gebiet. Grundsätzlich zulässig ist dagegen die Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial an Kriegführende durch private Lieferanten. Die Unterscheidung zwischen staatlicher und privater Ausfuhr und Durchfuhr ist somit von grundlegender Bedeutung. Unbestritten ist, dass eine Waffenlieferung dann dem Staat zuzurechnen ist, wenn sie durch Staatsorgane «veranlasst» wird. Die UEK-Studie über den Kriegsmaterialexport zeigt, dass verschiedene Waffenlieferungen auf Veranlassung der Militärverwaltung erfolgten: diese waren dem Bund zuzurechnen und erschienen somit neutralitätswidrig.

Weiter stellt sich im Zusammenhang mit dem Transit von Kriegsmaterial die Frage der Kontrollpflichten des neutralen Staates. Die Verpflichtung des neutralen Staates, Kriegführenden die Benützung seines Gebietes zu militärischen Zwecken zu untersagen, setzt geeignete Kontrollen voraus. In diesem Sinn muss als Neutralitätsverletzung bezeichnet werden, dass es die Schweizer Behörden im Zweiten Weltkrieg unterliessen, effektive Kontrollen von Zugsladungen durchzuführen.

Schliesslich wirft die Gewährung von Krediten für Kriegsmateriallieferungen die Frage nach einer allfälligen Neutralitätsverletzung auf. Das Neutralitätsrecht verbietet den Neutralen die Gewährung von Darlehen an kriegführende Staaten zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen derselben. Der neutrale Staat darf hingegen zulassen, dass Private Darlehen an Kriegführende gewähren; er darf jedoch nicht dazu aufrufen, solche Darlehen zu gewähren. Mit dem Abschluss des schweizerisch-deutschen Abkommens vom 9. August 1940 gewährte die Schweizer Regierung Clearingkredite, die der deutschen Kriegsfinanzierung dienten. Auch Italien erhielt 1940 und 1942 erhebliche Kredite für schweizerische Kriegsmateriallieferungen. Diese Kredite widersprachen dem geltenden Neutralitätsrecht.


Transactions germano-suisses sur l'or pendant la Seconde Guerre mondiale
Die Goldtransaktionen der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs

Jacques-Michel Grossen

Das Rechtsgutachten befasst sich mit völkerrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit den Goldtransaktionen, welche während des Zweiten Weltkriegs zwischen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der deutschen Reichsbank stattfanden. Im Vordergrund stehen dabei das Neutralitätsrecht sowie die in der Haager Landkriegsordnung von 1907 (HLKO) verankerten Prinzipien des Eigentumsschutzes. Behandelt wird zudem die Frage der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Schweiz, welche im Rahmen des Washingtoner Abkommens vom 25. Mai 1946 eine zentrale Rolle spielte.

Das im Zweiten Weltkrieg geltende Neutralitätsrecht verpflichtete die neutralen Staaten grundsätzlich nicht dazu, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit den kriegführenden Staaten abzubrechen. Eine allgemeine Pflicht zur wirtschaftlichen Neutralität bestand nach herrschender Lehre und Praxis nicht. Die Goldtransaktionen zwischen der SNB und der deutschen Reichsbank widersprachen somit nicht dem geltenden Neutralitätsrecht. Andererseits rechtfertigte die Neutralität der Schweiz keineswegs den Erwerb von völkerrechtswidrig entzogenem Gold. Massgeblich bei der Beurteilung dieser Goldkäufe sind vielmehr der in der Haager Landkriegsordnung festgelegte Eigentumsschutz sowie andere völkerrechtliche Prinzipien.

Die während des Zweiten Weltkriegs erfolgten Goldtransaktionen zwischen der Reichsbank und der SNB sind rechtlich insofern problematisch, als sich darunter Gold befand, das von den deutschen Behörden völkerrechtswidrig entzogen wurde. So enthielt das gelieferte Gold insbesondere Raubgold, d.h. konfisziertes und geplündertes Gold, sowie Gold, welches das NS-Regime ermordeten und überlebenden Opfern der Verfolgungspolitik raubte. Diese Massnahmen stellten einen groben Verstoss gegen den in der Haager Landkriegsordnung garantierten Schutz des Privateigentums (Art. 46 und 47 HLKO).

Das schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) kennt den gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen vom Nichtberechtigten. Daraus folgt, dass der gutgläubige Käufer von beweglichen Sachen (z.B. Gold) diese unter bestimmten Voraussetzungen rechtsgültig erwerben kann, auch wenn der Veräusserer zur Eigentumsübertragung nicht befugt war (z.B. bei völkerrechtswidriger Konfiskation). Nach diesem in Art. 934 ZGB verankerten Prinzip konnte die SNB also Eigentum an dem von der Reichsbank gelieferten Gold beanspruchen, sofern sie beweisen konnte, dass sie beim Goldkauf gutgläubig gehandelt hatte. Dies traf nach Art. 3 Abs. 2 ZGB nur dann zu, wenn das SNB-Direktorium trotz der gebotenen Aufmerksamkeit die völkerrechtswidrige Herkunft des gekauften Goldes nicht erkennen konnte. Der Autor bezeichnet das ab 1943 entwickelte Argument der SNB-Leitung, sie habe das Gold aus Deutschland im guten Glauben an dessen einwandfreie Herkunft erworben, als äusserst zweifelhaft. Zu einer Beurteilung dieser Frage durch Schweizer Gerichte kam es nicht.

Schliesslich stellt sich die Frage, ob aus den Goldkäufen der Schweizerischen Nationalbank eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Schweiz abgeleitet werden kann. Es bestehen mindestens zwei Voraussetzungen für eine völkerrechtliche Haftungspflicht: eine völkerrechtswidrige Handlung und die Zurechenbarkeit. Zahlreichen Goldkäufen der SNB lag zweifellos eine völkerrechtswidrige Handlung zugrunde. Rechtlich problematisch ist aber die Frage der Zurechenbarkeit: Die völkerrechtswidrigen Konfiskationen im NS-Raum waren Deutschland und nicht der Schweiz direkt zurechenbar. Für eine Anerkennung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Schweiz bedürfte es des Rückgriffs auf Tatbestände wie z.B. die Mittäterschaft oder die Hehlerei, die im fraglichen Zeitraum zwar im Strafrecht, aber nicht im Völkerrecht verankert waren. Es ist somit eher unwahrscheinlich, dass ein internationales Schiedsgericht nach dem Krieg die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Schweiz anerkannt hätte. Hinfällig ist diese Frage insofern, als im Washingtoner Abkommen vom 25. Mai 1946 das Problem der Entschädigung für geraubtes Gold abschliessend geregelt wurde.

(Originalversion auf französisch)


Rechtsprechung der schweizerischen Gerichte auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts im Umfeld des nationalsozialistischen Unrechtsregimes und der Frontenbewegung

Arthur Haefliger

Die Untersuchung befasst sich mit der Rechtsprechung der schweizerischen Gerichte auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts im Umfeld des NS-Regimes. Behandelt werden Gerichtsurteile im Zusammenhang mit der Frontenbewegung, der Prozess gegen David Frankfurter, Gerichtsurteile in Spitzel-, Spionage- und Sabotagefällen sowie ein Landesverräterprozess. Ziel dieser kasuistischen Studie ist es, die Haltung der Schweizer Justiz gegenüber der nationalsozialistischen und frontistischen Bewegung zu beleuchten.

In mehreren Fällen befasste sich die Schweizer Justiz mit den Aktivitäten der deutschen Nationalsozialisten und der Frontisten in der Schweiz. So hatte das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin Massnahmen der Kantone zu beurteilen, welche die Versammlungsfreiheit verschiedener Frontistengruppen einschränkten. Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde bildete z.B. das Versammlungsverbot, das der Regierungsrat des Kantons Zürich am 8. Februar 1934 gegen die frontistische Gruppierung «Harst der nationalen Front» aussprach. Das Bundesgericht lehnte diese Beschwerde ab mit der Begründung, die Vereinsfreiheit könne sich unmöglich auf Organisationen wie der «Harst» beziehen, welche den Zusammenhalt der staatlichen Gemeinschaft ernsthaft bedrohten. Auch in weiteren untersuchten Fällen lehnte das Bundesgericht die von frontistischen Gruppierungen (z.B. Nationale Front, Union Nationale Neuchâteloise) hervorgebrachten Beschwerden wegen Verletzung der Vereins- und Versammlungsfreiheit konsequent ab.

Im Dezember 1936 hatte das Kantonsgericht des Kantons Graubünden über die gegen David Frankfurter erhobene Anklage des Mordes zu urteilen. David Frankfurter – jüdischer Medizinstudent an der Universität Bern – hatte am 4. Februar 1936 den Führer der Landesgruppe Schweiz der NSDAP, Wilhelm Gustloff, «aus Rache gegen das nationalsozialistische Regime» in dessen Wohnung erschossen. Das Gericht verurteilte Frankfurter im Dezember 1936 wegen Mordes zu 18 Jahren Zuchthaus (unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft); ferner wurde er lebenslänglich des Landes verwiesen und in den bürgerlichen Rechten eingestellt. Das Gericht betonte in seinem Urteil, es dürfe nicht ausser acht gelassen werden, dass das an sich gemeine Verbrechen doch unleugbar innere Zusammenhänge mit der Judenverfolgung in Deutschland habe; diese habe beim Täter nicht unbegreifliche Gefühle der Erbitterung, ja des Hasses wachgerufen. Der Grosse Rat des Kantons Graubünden begnadigte David Frankfurter im Jahr 1945.

Die Gerichte hatten sich im fraglichen Zeitraum auch mit verschiedenen Spitzel-, Spionage- und Sabotagefällen auseinanderzusetzen. So befasste sich das Territorialgericht 2 mit einer gegen die Schweiz gerichteten Sabotageaktion. Im Auftrage von Reichsmarschall Göring hatten sich zehn Saboteure in der Nacht vom 13. Auf den 14. Juli 1940 illegal in die Schweiz begeben, um auf verschiedenen Flugplätzen mit Sprengsätzen Schweizer Militärflugzeuge zu zerstören. Für das missglückte Sabotageunternehmen – die Aktion konnte frühzeitig verhindert werden – bestrafte das Gericht durchwegs alle Angeklagten mit lebenslänglichem Zuchthaus.

Neben dem Bundesstrafgericht hatten sich auch kantonale Gerichte mit deliktischen Tätigkeiten von Frontisten zu befassen. Internationale Beachtung fand der Prozess, der sich vor Berner Gerichten abwickelte und die sogenannten Protokolle der «Weisen von Zion» zum Gegenstand hatte. Die Israeltische Cultusgemeinde Bern reichte im Sommer 1933 gegen Frontisten, welche diese antisemitische Schrift in der Schweiz verbreitet hatte, Strafanzeige ein. Das bernische Obergericht sprach die Hauptangeklagten frei, da die Publikation der Protokolle von der Gesetzgebung nicht erfasst sei. Es sprach ihnen indessen keine Entschädigung zu und liess sie ihre Verteidigungskosten selber tragen, mit der Begründung, wer solche Hetzartikel in Verkehr setze, müsse die ihm daraus entstehenden Kosten selber tragen.

Weiter wird einer der 33 Landesverräterprozesse untersucht, in denen die Militärgerichte Todesstrafen aussprachen. Gegenstand des Prozesses war die Verletzung militärischer Geheimnisse durch zwei Angehörige der Schweizer Armee: Diese hatte Angaben zu wichtigen militärischen Anlagen (militärische Brücken und Strassen, Sprengstoffmagazine, Munitionsdepots usw.) an den deutschen Spionagedienst weitergeleitet. Bei Berücksichtigung aller Umstände kam das Gericht zum Schluss, die Verbrechen müssten mit schwerster Strafe geahndet werden. Die Todesurteile wurden am 11. November 1942 vollstreckt.


Rechtliche Aspekte der schweizerischen Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg

Walter Kälin

Das Gutachten stellt den Stand und die Entwicklung der völker- und landesrechtlichen Normen dar, die für die Flüchtlingspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg relevant waren, und leitet aus dieser Analyse Kriterien ab, die für eine umfassende Beurteilung dieser Politik herangezogen werden können. Die Untersuchung befasst sich im ersten Teil mit dem damals geltenden nationalen und internationalen Flüchtlingsrecht, insbesondere der Entwicklung des Flüchtlingsbegriffs und dem Prinzip des Non-Refoulement. Der zweite Teil ist dem Schweizer Vollmachtenregime gewidmet, wobei das Verordnungsrecht, das der Umsetzung der schweizerischen Flüchtlingspolitik diente, im Zentrum steht.

Auf landesrechtlicher Ebene war das Flüchtlingsrecht vieler europäischer Staaten vor und im Zweiten Weltkrieg von einem engen Flüchtlingsbegriff geprägt, der auf das 19. Jahrhundert zurückging. Dies galt auch für die Schweiz: Nur gerade für «politische Flüchtlinge», d.h. Personen, die wegen verbotener politischer Aktivitäten in ihrem Herkunftsstaat gefährdet erschienen, war die Möglichkeit der Asylgewährung und eines Schutzes vor Rückschiebung gesetzlich verankert. Für Personen, die aus anderen Gründen verfolgt wurden, sah das schweizerische Landesrecht keinen besonderen Status oder Schutz vor. Damit wurden namentlich Juden und andere Personen, die wegen ihrer Rasse verfolgt wurden, vom Asylrecht nicht geschützt.

Auf völkerrechtlicher Ebene lässt sich in den 1930er Jahren eine schrittweise Ausweitung des Flüchtlingsbegriffs feststellen. In verschiedenen internationalen Vereinbarungen wurde die Flüchtlingseigenschaft einzelnen, genau umschriebenen Gruppen und Personen aus bestimmten Staaten, darunter auch Deutschland, zugesprochen. Allerdings war mit der Zusprechung der Flüchtlingseigenschaft nicht notwendigerweise ein besonderer Rechtsstatus oder Schutz verbunden. Immerhin kam es in der Zwischenkriegszeit auch für diese Gruppen ansatzweise zu einer Verankerung des Non-Refoulement-Prinzips. Die entsprechenden Abkommen sahen jedoch meistens kein Verbot der Abweisung an der Grenze vor, sondern beschränkten den Schutz auf jene Flüchtlinge, die über den engeren Grenzraum hinaus ins Landesinnere fliehen konnten. Für die Schweiz ergab sich durch die Unterzeichnung des provisorischen Arrangements vom 4. Juli 1936 die Verpflichtung, verfolgte Flüchtlinge aus Deutschland, welche die Grenzen überschritten hatten und nicht unmittelbar danach im grenznahen Raum aufgriffen wurden, nicht mehr auszuweisen.

Das Vollmachtenregime während der Kriegsjahre, d.h. die Übertragung von weitreichenden gesetzgeberischen und verfassungsändernden Befugnissen von der Bundesversammlung an den Bundesrat, wurde (und wird) von der juristischen Lehre praktisch einhellig für zulässig erachtet. Ausschlaggebend ist im wesentlichen das Argument, die damalige Gefährdung des Bestandes und der Integrität des Staatswesens hätte diese Massnahmen erforderlich gemacht. Aus der Zulässigkeit von Notrecht folgt jedoch nicht automatisch, dass alle darauf gestützten Massnahmen unproblematisch waren. Entscheidend war die Frage, ob diese in sachlicher und zeitlicher Hinsicht nicht über das Mass hinausgingen, das zur Erreichung der verfolgten Zwecke erforderlich war.

Das Gutachten untersucht näher auch die Frage der Rechtmässigkeit der Deponierungspflicht für Flüchtlingsvermögen und Solidaritätsabgabe, die Problematik des «J»-Stempels und die Behandlung der Flüchtlinge in Internierungs- und Flüchtlingslagern. Zusammenfassend ergibt sich dabei folgendes Bild: Nach heutigen Massstäben wäre die Behandlung von Flüchtlingen, die während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz aufgenommen wurden, in verschiedener Hinsicht als rechtswidrig einzustufen. Eine Beurteilung aus zeitgenössischer Sicht kommt über weite Strecken zu einem anderen Ergebnis: Die Deponierungspflicht für Flüchtlingsvermögen und die Behandlung der Flüchtlinge in den Internierungs- und Flüchtlingslagern waren zwar nicht durchgängig, jedoch weitgehend mit dem geltenden Landes- und Völkerrecht vereinbar, soweit sie nicht im Lichte der konkreten Umstände als schikanös zu beurteilen waren oder gegen konkrete Pflichten aus Niederlassungsverträgen verstiessen.

Aus rechtlicher Sicht problematisch war die Erhebung einer Solidaritätsabgabe, soweit ihr Niederlassungsverträge entgegenstanden, welche Emigranten und Flüchtlinge mit Toleranzbewilligung schützten. Rechtsprobleme ergeben sich auch im Hinblick auf den «J»-Stempel. Auch wenn der Beschränkung der Einreisemöglichkeit der deutschen Juden nach damaligem Verständnis kein verfassungsrechtliches Diskriminierungsverbot entgegenstand, verstiess sie doch gegen den Niederlassungsvertrag mit Deutschland sowie gegen grundsätzliche Werte der schweizerischen Rechtsordnung (Ordre public).


Der völkerrechtliche Schutz des Privateigentums im Kontext der
NS-Konfiskationspolitik

Frank Haldemann

Diese rechtshistorische Analyse untersucht die Praxis der Schweizer Diplomatie im Umgang mit der NS-Konfiskationspolitik vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Völkerrechts. Im ersten Teil der Arbeit werden die Grundlagen des völkerrechtlichen Schutzes des Privateigentums zur Zeit des Nationalsozialismus dargestellt. Dabei stellt sich die Grundsatzfrage, inwiefern das damals geltende Völkerrecht schweizerische Staatsangehörige im «Dritten Reich» vor staatlichen Eingriffen in das Privateigentum schützte. Im zweiten Teil wird die diplomatische Praxis der Schweizer Behörden im Umgang mit den dargestellten völkerrechtlichen Prinzipien beleuchtet. Im Vordergrund stehen dabei die in der Bundesverwaltung geführten Grundsatzdiskussionen in den Jahren 1938 und 1941 sowie der Fall Oscar P., mit dem sich die Bundesbehörden in den Jahren 1935–1938 befassten.

Waren inländische und staatenlose Personen unter dem klassischen Völkerrecht der Staatsmacht des Heimat- bzw. Aufenthaltsstaates völlig schutzlos ausgesetzt, so traf dies nicht auf die ausländischen Staatsangehörigen zu. Das völkerrechtliche Fremdenrecht, das sowohl im Völkergewohnheitsrecht als auch im völkerrechtlichen Vertragsrecht verankert war, grenzte die Befugnisse der Staaten gegenüber den ausländischen Staatsangehörigen erheblich ein. Dabei setzte sich in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen allmählich die Rechtsauffassung durch, dass den ausländischen Staatsangehörigen auf jeden Fall ein rechtsstaatlicher Kernbestand an Grund- und Freiheitsrechten zu gewährleisten sei.

Wichtiger Bestandteil dieses «fremdenrechtlichen Mindeststandards» war der Schutz des Privateigentums. In der Zwischenkriegszeit etablierte sich das Prinzip des Schutzes wohlerworbener Rechte als völkergewohnheitsrechtlicher Grundsatz. Nach diesem Prinzip durfte ein Staat die Vermögensrechte ausländischer Staatsangehöriger nicht ohne sofortige und gerechte Entschädigung entziehen. Aber auch zahlreiche Handels-, Freundschafts- und Niederlassungsverträge garantierten einen weitreichenden Schutz des Privateigentums, so auch die bilateralen Niederlassungsverträge, welche die Schweiz ab dem 19. Jahrhundert mit zahlreichen Staaten abgeschlossen hatte. Zudem gewährleistete das Kriegsvölkerrecht der Zivilbevölkerung der besetzten Staaten bestimmte Grundrechte, wozu insbesondere das Recht auf Privateigentum zählte.

Angesichts der akuten Bedrohung der Schweizer Juden im NS-Machtraum stellte sich für die Schweizer Behörden die Frage des diplomatischen Schutzes. Die im Text dargestellte Praxis zeichnet dabei ein zweifelhaftes Bild der Schweizer Diplomatie im Umgang mit der NS-Konfiskationspoltik. Bezeichnend für das Verhalten der Behörden war eine verstärkte Politisierung des diplomatischen Schutzes: Nicht die gefährdete Rechtsposition der bedrängten jüdischen Mitbürger, sondern aussenpolitische Interessen wurden zunehmend zum Massstab diplomatischen Handelns. Dabei scheuten sich die Behörden nicht, bewährte Rechtsgrundsätze – so insbesondere den Verfassungsgrundsatz der Rechtsgleichheit und das Prinzip des fremdenrechtlichen Mindeststandards – preiszugeben. In der diplomatischen Praxis zeichnete sich somit eine Anpassung an die «völkischen» Kriterien des NS-Staates ab – eine Anpassung, welche der seit 1874 bestehenden verfassungsrechtlichen Gleichstellung der Juden in der Schweiz zutiefst widersprach.

In der Diskussion um die deutsche Verordnung vom 26. April 1938 über die Anmeldung des Vermögens von Juden zeigte sich die «politische Einzelfallstrategie» der Schweizer Diplomatie. Die Behörden unterliessen es, auf die antisemitische Verordnung, die auch die Schweizer Juden in Deutschland in Mitleidenschaft zog, mit diplomatischen Gegenmassnahmen zu reagieren. Auch das vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Bundesrichter Robert Fazy, welches die klare Völkerrechtswidrigkeit der Anmeldepflicht offen legte, vermochte die Schweizer Behörden nicht zu einer grundsätzlichen Intervention zugunsten der Schweizer Juden in Deutschland zu bewegen.

Deutlich wurde die Haltung der Behörden in der Diskussion um die Kleine Anfrage Graber vom 12. Juni 1941. In einer öffentlichen Stellungnahme berief sich der Bundesrat auf das geltende Völkerrecht, um den Schweizer Juden den gleichen Anspruch zu verwehren, der den «sonstigen» Schweizern in Frankreich zustand. Diese Position des Bundesrates stand – wie der Völkerrechtsprofessor Paul Guggenheim in seinem im Auftrag des SIG verfassten Rechtsgutachten unmissverständlich feststellte – in offenem Widerspruch zum schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrag vom 23. Februar 1882 sowie zum damals geltenden fremdenrechtlichen Mindeststandard.

Bezeichnend war in dieser Hinsicht auch das Verhalten der Behörden im Fall Oscar P. In der Abteilung für Auswärtiges setzte sich die Auffassung durch, dass die «guten Beziehungen mit Deutschland» wegen einer «ausgesprochen jüdischen Buchhandlung» nicht aufs Spiel zu setzen seien. Die konsequente Rechtsposition des Gesandten in Berlin, Paul Dinichert, fand in Bern kein Gehör: Er wertete die antisemitischen Massnahmen des NS-Staates als klaren Rechtsbruch und forderte Gegenmassnahmen.


Einordnung der schweizerischen Praxis zum NS-Unrecht nach dem
Zweiten Weltkrieg

Jochen Abr. Frowein

Das Gutachten untersucht die schweizerische Rechtspraxis nach dem Zweiten Weltkrieg und stellt sie in den Kontext der damals geltenden Regeln des Völkerrechts und der allgemeinen Rechtsgrundsätze. Im Zentrum stehen dabei Fragen im Zusammenhang mit der «Wiedergutmachung», wobei auf die spezifischen Probleme der Schweiz bei der Regelung der Kriegsfolgen eingegangen wird. Die Untersuchung schliesst mit einer Würdigung der schweizerischen Restitutionspraxis im internationalen Vergleich.

Grundsätzlich gilt es bei Problemen der «Wiedergutmachung» zu unterscheiden, ob die Schädigung vom eigenen Staat oder von einem fremden Staat vorgenommen wurde. So stand nach dem Zweiten Weltkrieg der Klage gegen einen fremden Staat grundsätzlich der völkerrechtliche Schutz der Staatenimmunität entgegen. Klagen gegen den deutschen Staat, beispielsweise vor einem schweizerischen Gericht, waren in diesem Sinn unmöglich. Erst in neuerer Zeit gibt es eine Tendenz, die Immunität dann zu durchbrechen, wenn es sich bei den Staatsakten um extremes Unrecht handelt. Allerdings gehörte es bereits nach dem Zweiten Weltkrieg zu den anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts, dass ein Staat bei einer Völkerrechtsverletzung Anspruch auf Schadenersatz geltend machen konnte. Dieser Anspruch bestand grundsätzlich nur von Staat zu Staat. Für Individuen war für Völkerrechtsverletzungen kein Recht auf Schadenersatz vorgesehen.

Bei den Fragen der «Wiedergutmachung» ist insbesondere die Praxis der Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen. Die gesetzliche «Wiedergutmachung» national-sozialistischen Unrechts beruhte dort auf der Vorstellung, dass eine Sonderlage bestehe, die ohne besondere gesetzliche Regelung aufgrund der allgemeinen Rechtsordnung nicht angemessen gelöst werden könne. Die Begrenzung des deutschen Wiedergutmachungsrechts ergab sich vor allem aus der Anwendung des sog. Territorialitätsprinzips, nach dem in erster Linie diejenigen Verfolgten entschädigt wurden, welche ihren Lebensmittelpunkt im Gebiet der Bundesrepublik gefunden hatten. Eine weitere wesentliche Beschränkung des Entschädigungsrechts ergab sich daraus, dass nach den deutschen Gesetzen kein gesonderter Anspruch auf Entschädigung wegen geleisteter Zwangsarbeit als solcher bestand.

In der Schweiz stellte sich im Zusammenhang mit den Kriegsfolgen in verschiedenen Bereichen rechtliche Probleme. Mit dem Raubgutbeschluss vom 10. Dezember 1945 versuchte der Bundesrat, dem Problem der geraubten und gestohlenen Güter zu begegnen. Er bestimmte, dass Personen, die in einem kriegsbesetzten Gebiet in völkerrechtswidriger Weise beraubt oder durch Gewalt, Beschlagnahmung, Requisition oder ähnliche Handlung um Besitz oder Eigentum gebracht worden waren, die betroffenen Gegenstände von gegenwärtigen gut- oder bösgläubigen Besitzern herausverlangen konnten, wenn sie (die Gegenstände) sich in der Schweiz befanden. Der Bundesratsbeschluss von 1945 war auch auf Wertpapiere anwendbar. Nach dem Gesetzestext war Voraussetzung für die Anwendung des Beschlusses, dass die Wertpapiere in einem kriegsbesetzten Gebiet in völkerrechtswidriger Weise aus Besitz oder Eigentum des Berechtigten gebracht worden waren.

Die Schweizer Gerichte hatten sich im Zusammenhang mit den Kriegsfolgen vor allem auch mit den in Deutschland abgeschlossenen Versicherungsverträgen von schweizerischen Versicherungsgesellschaften auseinanderzusetzen. Die Gerichte stellten zwar den Verstoss der NS-Konfiskationspolitik gegen den schweizerischen Ordre public klar heraus. Die Konsequenz daraus, dass die in Deutschland vollendete Enteignung in der Schweiz insgesamt rückgängig zu machen wäre, wurde allerdings nicht gezogen.

Die Frage nach der Zwangsarbeiterentschädigung ist auch für die Schweiz von Relevanz, da deutsche Niederlassungen oder Tochterfirmen von schweizerischen Firmen im fraglichen Zeitraum Zwangsarbeiter eingesetzt hatten. Nach dem deutschen Bundesentschädigungsgesetz wurde Zwangsarbeitern kein Entgelt für geleistete Zwangsarbeit, jedoch teilweise eine Entschädigung für Schäden an Körper oder Gesundheit und für KZ-Haft zugesprochen. In neuster Zeit wurde auf Initiative der deutschen Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft über eine Stiftungslösung 10 Milliarden DM für Zwangsarbeiterentschädigung zur Verfügung gestellt. Diese Regelung wird auch Zwangsarbeiter erfassen, die bei schweizerischen Unternehmen eingesetzt waren. Es ist allerdings zu betonen, dass es nicht Aufgabe der Schweiz gewesen wäre, Entschädigungsansprüche für Zwangsarbeiter zu schaffen, weil die in Deutschland tätigen ausländischen Unternehmen in vollem Umfang der deutschen Rechtsordnung unterstanden und deshalb die Beschäftigung von Zwangsarbeitern von den Normen des NS-Rechts bestimmt worden war.

Das Rechtsgutachten vergleicht die gesetzliche Behandlung der Raubgutfrage in der Schweiz mit den Regelungen Belgiens, Frankreichs und der Niederlande. Von der schweizerischen Regelung unterscheidet sich insbesondere die niederländische, welche beim gutgläubigen Erwerb eine Beweislastumkehrung vorsieht; der Erwerber muss danach nachweisen, dass er beim Erwerb im guten Glauben war.

In seiner Würdigung der schweizerischen Restitutionspraxis im internationalen Vergleich kommt der Autor zum Schluss, dass unter Berücksichtigung der besonderen Lage der Schweiz es nicht angemessen sei, ihre Reaktionen auf das Unrecht des «Dritten Reiches» generell zu kritisieren.