(Veröffentlichungen der UEK, Band 15, Bestellung direkt beim Chronos Verlag)

Nachrichtenlose Vermögen bei Schweizer Banken.
Depots, Konten und Safes von Opfern des nationalsozialistischen Regimes und Restitutionsprobleme in der Nachkriegszeit

Barbara Bonhage, Hanspeter Lussy, Marc Perrenoud

Zusammenfassung

Die Studie, die vorwiegend auf Quellen aus Bankarchiven beruht, befasst sich mit der Entstehung nachrichtenloser Vermögenswerte auf Schweizer Banken seit 1931 und nach 1945. Die Verhaltensweisen der Banken und des Bundes trugen dazu bei, dass Vermögenswerte von Opfern des Nationalsozialismus während der ganzen Nachkriegzeit auf Schweizer Baken liegenbleiben konnten.

Voraussetzungen zwischen 1931 und 1945
In den zwanziger und dreissiger Jahren deponierten zahlreiche ausländische Kunden, die später zu den durch den Nationalsozialismus Verfolgten gehörten, einen Teil ihres Vermögens bei Schweizer Banken. Nach 1931 und während des Krieges verliessen jedoch viele dieser Vermögenswerte den Finanzplatz Schweiz wieder, noch bevor in der Nachkriegszeit erste Suchaktionen nach nachrichtenlosen Vermögenswerten stattfanden. Die ausländische Kundschaft legte ihre Mittel einerseits als Spar- und Kontokorrentguthaben an, die von den Banken als bilanzrelevante Einlagen im Kreditgeschäft verwendet wurden. Als sogenannte bilanzindifferente Werte hinterlegten die Kunden andererseits Vermögenswerte und Wertpapiere in offenen Depots oder mieteten Tresorfächer, um darin Banknoten, Schmuck, Gold oder andere Wertgegenstände sicher aufzubewahren.

Nach der Einführung der Devisenbewirtschaftung 1931 in Deutschland versuchten dessen Finanz- und Zollbehörden, durch Bankspionage in der Schweiz Informationen über deutsche Kunden zu erhalten. In einzelnen Fällen gaben Bankangestellte solche Kundendaten an deutsche Devisenfahnder heraus. Um die Kunden vor den Spionageversuchen und die Bank vor namhaften Kapitalrückzügen zu schützen, führten einige Institute restriktive Bestimmungen für den Postversand an Privatkunden ins Ausland ein. Dem erzwungenen Abzug und der Spionage nach Kundengeldern beugten Banken auch vor, indem sie Konten, Depots oder Safes anstelle der Kundennamen mit Nummern bezeichneten. Die Information darüber, welche Kunden zu welchen Nummern gehören, war dabei nur einem kleinen Kreis höherer Bankangestellter zugänglich.

Das nationalsozialistische Regime zwang 1933 und 1936 die deutsche Bevölkerung sowie 1938 die österreichische durch die Einführung von Kapitalfluchtgesetzen und unter Androhung drakonischer Strafen, ihre ausländischen Devisen dem Staat anzumelden und abzuliefern. Dadurch waren die Banken entlang der deutschen und österreichischen Grenze besonders stark von Kapitalrückzügen betroffen. Die Schweizerische Nationalbank vereinbarte daher 1934 und – nach dem «Anschluss» Österreichs – 1938 mit der Reichsbank ein Kompensationsverfahren: Die Grenzbanken konnten ihre in Deutschland respektive Österreich blockierten Hypothekarforderungen mit den Sparguthaben in der Schweiz verrechnen, die bei den nationalsozialistischen Behörden angemeldet worden waren. Die von der Kompensation betroffenen Kontoguthaben existierten danach nicht mehr. Verhandlungen zur Verrechnung der Forderungen der Schweizer Banken in Elsass-Lothringen mit den aus diesen Gebieten stammenden Einlagen scheiterten hingegen: Es stand ein zu geringer Betrag zur Verrechnung zur Verfügung, da nur ein kleiner Teil der Einlagen den deutschen Devisenbehörden gemeldet worden war. Allerdings meldeten Schweizer Banken Anfang 1942 elsässische Aktien in schweizerischem Besitz gemäss den Verordnungen der Besatzer im Elsass bei den nationalsozialistischen Behörden an. Die Aktien jüdischer Deponenten wurden dadurch entwertet.

Aus schweizerischer Sicht beeinflussten folgende Ereignisse die Fluktuation der ausländischen Vermögenswerte in der Schweiz am stärksten: Die Notverordnungen der deutschen Regierung vom August 1931, die infolge der Bankenkrise erlassen wurden, liessen das deutsche Passivgeschäft bei Schweizer Banken ein erstes Mal zusammenschrumpfen. Am 12. Juni 1933 erliess die nationalsozialistische Regierung das «Gesetz gegen den Verrat an der Deutschen Volkswirtschaft», welches eine Anmeldepflicht für alle im Ausland deponierten Vermögenswerte und Devisen der in Deutschland lebenden Personen verfügte. Diese Massnahmen führten zu einem weiteren starken Rückzug deutscher Einlagen bei Schweizer Banken. Im April 1936 verursachte der Wahlsieg der Volksfront in Frankreich zwar zunächst einen Zustrom von französischem Kapital auf Schweizer Banken, einige legten ihre Gelder aber auch in Immobilien in der Schweiz an oder vertrauten die Werte Schweizer Treuhändern an. Am 19. November 1936 forderte die nationalsozialistische Regierung mit der 7. Durchführungsverordnung zum Devisengesetz alle Deutschen auf, ihre im Ausland deponierten Wertpapiere bei einer deutschen Devisenbank zu deponieren, was noch einmal zur Aufhebung zahlreicher Kundendepots bei Schweizer Banken führte. Mit dem «Devisengesetz für das Land Österreich» forderten die nationalsozialistischen Machthaber die Bewohner «Altösterreichs» am 23. März 1938 dazu auf, ihre im Ausland deponierten Titel der Reichsbank anzubieten. Viele österreichische Kunden zogen ihre Werte daher von Schweizer Banken ab und lieferten sie unter Zwang dem «Dritten Reich» aus. Die «Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden» vom 26. April 1938, die alle Juden im deutschen Machtbereich verpflichtete, ihre Vermögenswerte anzumelden, überschnitt sich mit dem bestehenden Devisengesetz in Österreich. Im Herbst 1938 verursachten das Pogrom gegen die Juden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 und die in Italien erlassenen Rassengesetze die Abwanderung von Werten jüdischer Kunden aus Deutschland und Italien insbesondere nach Nordamerika. Schliesslich verunmöglichte die schweizerische Sperrung der Vermögenswerte von Gläubigern aus besetzten Gebieten im Juli 1940 weitere Kapitalrückzüge von Banken der Gläubiger aus diesen Regionen. Während die meisten Grossbanken erst nach dem Krieg Richtlinien zur Behandlung nachrichtenloser Vermögenswerte einführten, war die Verwaltung umsatzloser Guthaben bei den Kantonalbanken und anderen auf die Entgegennahme von Spargeldern spezialisierten Banken am Ende des Krieges bereits ein Routinegeschäft. Die Verwaltung nachrichtenloser Vermögenswerte durch Schweizer Banken war daher auch vor 1945 schon ein Thema, das in den Quellen in Erscheinung tritt.

Entwicklungen nach 1945
In einem Briefwechsel im Rahmen des Washingtoner Abkommens von 1946 verpflichteten sich die Schweizer Unterhändler, in der Schweiz liegende Vermögenswerte von Personen, die im Rahmen der nationalsozialistischen Vernichtungen ermordet worden waren, ausfindig zu machen und den drei westlichen alliierten Regierungen für Hilfsmassnahmen zur Verfügung zu stellen. Bei zahlreichen Werten standen keine anspruchsberechtigten Personen mehr mit Schweizer Banken im Kontakt. In vielen Fällen lebten zwar noch legitime Ansprecher – seien es Erben oder Bevollmächtigte –, sie meldeten sich aber während und nach dem Krieg über Jahre nicht mehr. Zudem waren viele ausländische Kunden von Schweizer Banken während des Kriegs geflohen, hatten ihre Bankdokumente verloren und verfügten nur über vage Vorstellungen von einem in der Schweiz vorhandenen Guthaben, Depot oder Safe von Verwandten. Es konnte gezeigt werden, dass Banken Informationen gegenüber Erben über ehemalige Kundenbeziehungen zurückhielten, indem sie darauf hinwiesen, dass Kundendokumente nicht mehr als zehn Jahre über das Datum der Kontoschliessung hinaus aufzubewahren seien. Während die Verkehrs- und Postwege nach dem Kriegsende eine Kontaktaufnahme wieder zuliessen, erschwerten nicht nur die restriktive Auskunftspraxis der Banken, sondern auch die Bedingungen des seit 1947 einsetzenden Kalten Krieges für viele Kunden oder deren Erben den Zugriff auf Schweizer Konten, Depots oder Safes. Einige Banken, insbesondere Kantonal- und Privatbanken, unternahmen hingegen von sich aus nach dem Kriegsende erfolgreich den Versuch, mit Kunden im Ausland wieder Kontakt aufzunehmen.

1947 und 1956 führte die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) Umfragen zu nachrichtenlosen Vermögenswerten bei Schweizer Banken durch. Die SBVg reagierte damit auf einen auf Bundesebene geplanten Meldebeschluss für nachrichtenlose Opfervermögenswerte. Allerdings förderten diese Umfragen nur kleine Summen nachrichtenloser Werte zutage. Die SBVg und die Banken gingen davon aus, dass eine Meldegesetzgebung dann unterbleiben würde, wenn der Wert der vorhandenen nachrichtenlosen Vermögen gering war. Die Banken meldeten nachrichtenlose Vermögen daher zuhanden der SBVg nur sehr zurückhaltend an. Die SBVg unterliess es zudem bis 1995 nicht nur, die Mitgliedbanken auf eine einheitliche Verwaltung der nachrichtenlosen Vermögenswerte zu verpflichten. Sie betrieb vielmehr bis 1962 auch ein engagiertes Lobbying, um einen Meldebeschluss zu verhindern. Sie erreichte damit, dass dieser erst 17 Jahre nach Kriegsende vom Bundesrat erlassen wurde. Auch führte die Vorgehensweise der Banken, der Bankiervereinigung und des Bundes dazu, dass einige der nachrichtenlosen Vermögenswerte bis heute auf Schweizer Banken liegenblieben. Das Ziel des schliesslich auf ausländischen Druck hin erlassenen Bundesbeschlusses von 1962 wurde daher nicht erreicht: Die bei Schweizer Banken liegenden nachrichtenlosen Vermögen von Opfern des Nationalsozialismus wurden nur unvollständig an Berechtigte restituiert oder – falls solche nicht ausfindig gemacht wurden – wohltätigen Zwecken zugeführt.

Was die Meldepraxis der Banken betrifft, so mussten – nachdem die Refendumsfrist Anfang September 1963 abgelaufen war – bis Ende Februar 1964 alle Vermögenswerte von Personen, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt worden waren, bei der Meldestelle des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements angezeigt werden. Die Banken sprachen sich während dieser sechs Monate mehrfach ab, wie die Anmeldungen in der Praxis durchzuführen waren. Diese Absprachen führten zu einer Reduktion der Fälle, die der Meldestelle bekanntgegeben wurden. Die Identifizierung von Opferguthaben erfolgte bei den meisten Banken über die Bezeichnung jüdisch klingender Namen der Kunden, die sich längere Zeit nicht gemeldet hatten. Andere Verfolgungsgründe wurden durch diese Vorgehensweise nicht berücksichtigt. Werte von Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuellen oder körperlich respektive geistig Behinderten, die ebenfalls zu den durch den Nationalsozialismus Verfolgten gehörten, wurden vom Meldebeschluss kaum erfasst. Insgesamt meldeten 46 Banken 739 Vermögenswerte im Wert von 6,2 Mio. Franken an. Die Mehrheit des deklarierten Wertes ging jedoch wieder an die Finanzinstitute zurück, weil die Meldestelle Erben gefunden hatte oder aus anderen Gründen entschied, dass die Vermögenswerte dem Meldebeschluss nicht unterstanden. Einige dieser Fälle blieben bis heute dort liegen, obwohl die Meldestelle mögliche Erben ausfindig gemacht hatte: Die Banken waren oft nicht bereit, Kontakt mit Personen aufzunehmen, von denen sie nicht sicher wussten, ob sie an den fraglichen Werten tatsächlich erbberechtigt waren. Ihre Zurückhaltung begründeten sie damit, Eigentumsrechte und das Bankgeheimnis nicht verletzen zu wollen.

Aufgrund der heutigen Quellenlage ist es nicht mehr möglich, den Wert nachrichtenloser Opfervermögen bei Schweizer Banken zu einem bestimmten Zeitpunkt nach 1945 zu beziffern. Zahlreiche Vermögen nahmen zwar durch eine die Interessen der Kunden wahrende Anlage oder durch die Wertsteigerung der Titel über die Jahre zu. Viele Vermögenswerte verloren jedoch an Wert, weil sie durch Gebührenbelastungen verringert wurden. Während offene nachrichtenlose Wertschriftendepots eher eine Wertsteigerung erreichten, waren die Werte in Safes und Konten meist einer Wertminderung ausgesetzt. Dies führte dazu, dass Banken seit 1945 immer wieder wertlos gewordene Konten oder Safes schlossen. Einige Banken spiesen kleine und kleinste nachrichtenlose Vermögenswerte bei der Schliessung der Konten in ihre Gewinn- und Verlustrechnung ein. Nach zehn Jahren konnten Banken sämtliche Dokumente vernichten, welche diese Kundenbeziehungen betrafen. In zahlreichen Fällen besteht daher heute keinerlei Evidenz mehr für eine vormals bestehende Kundenbeziehung mit Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung.