Die Schweiz und die deutschen Lösegelderpressungen in den besetzten Niederlanden

Bettina Zeugin, Thomas Sandkühler

Zwischen 1940 und 1945 erpressten die deutschen Behörden im «Reichskommissariat Niederlande» von Juden, die eine Ausreisebewilligung erhalten wollten, Devisen und andere Vermögenswerte. Dies geschah oft unter Einschaltung schweizerischer Personen und Banken. Die Kommission entschloss sich aus folgenden Gründen, die Thematik anhand des holländischen Fallbeispiels zu erforschen: Die Niederlande waren nach dem Generalgouvernement Polen dasjenige Besatzungsgebiet, in dem am häufigsten finanzielle Gegenleistungen für Ausreisen verlangt und bezahlt wurden. So konnten rund 400 Einzelfälle von Lösegelderpressungen in den Niederlanden mit einem Volumen von mindestens 35 Millionen geforderten Schweizerfranken dokumentiert werden. Im Unterschied zu Polen weist etwa die Häfte dieser Fälle Verbindungen zur Schweiz auf, sei es durch Intermediäre, sei es durch die Einschaltung eidgenössischer Behörden oder schweizerischer Banken. Die Alliierten erhielten durch die Lösegelderpressungen in Holland Kenntnis von dieser Art Geschäft und sahen sich veranlasst, mit dem Mittel der «Schwarzen Liste» gegen Schweizer Mittelspersonen, darunter auch Banken, vorzugehen.

In diesem Bericht werden die Positionen der drei wesentlichen Akteure der deutschen Lösegelderpressungen dargelegt: die Position des Deutschen Reichs und der Besatzungsverwaltung in den Niederlanden, die Position der Schweiz sowie diejenige der alliierten Mächte Grossbritannien und USA.

Die Bedeutung dieses Themas im Rahmen des Mandats ergibt sich aus folgenden Zusammenhängen: Für NS-Deutschland eröffnete die finanzielle Erpressung verfolgter Juden, die aus den besetzten Gebieten auswandern wollten, oder ihrer Verwandten und Bekannten im Ausland eine Möglichkeit, sich an jüdischen Guthaben in- und ausserhalb des deutschen Machtbereichs zu bereichern. Die Deutschen waren an freien Devisen äusserst interessiert, weshalb Lösegeldverhandlungen ganz überwiegend auf der Basis des Schweizerfrankens geführt wurden. Für Verfolgte und Täter lag es daher nahe, von Vermittlungsdiensten Gebrauch zu machen, die Intermediäre aus der neutralen Schweiz anbieten konnten. Jedoch gelangten nur wenige der Freigekauften in die Schweiz. Der Finanzplatz war in den meisten Fällen lediglich Drehscheibe für die Aufbringung der geforderten Gelder.

Die Aussen- und die Flüchtlingspolitik der Schweiz befassten sich mit den deutschen Lösegelderpressungen nur indirekt. Als Schutzmacht für Deutschland, Grossbritannien und die Vereinigten Staaten vermittelte die Schweiz zwischen den Kriegsgegnern und wickelte den Zivilgefangenenaustausch ab. Dabei wurden im Machtbereich des Deutschen Reiches befindliche Staatsangehörige der Alliierten sowie Einwohner des britischen Mandatsgebietes Palästina gegen deutsche Staatsangehörige, die von den Alliierten interniert worden waren, ausgetauscht. In vielen Fällen handelte es sich bei diesen Austauschpersonen, die im Konzentrationslager Bergen-Belsen interniert worden waren, um Juden, die zuvor von den Deutschen zur Zahlung von Devisen gezwungen worden waren. Zwischen der Erpressung von Lösegeld und der Einbeziehung niederländischer Juden in den deutsch-alliierten Zivilgefangenenaustausch bestanden enge Beziehungen, die im Konzentrationslager Bergen-Belsen zusammenliefen.

Das Thema steht somit im Schnittpunkt zwischen Flüchtlingspolitik und Devisentransfer. Es ist auch deswegen brisant, weil in den beteiligten Staaten, seien es die Alliierten, seien es die Schweiz, ein Spannungsverhältnis zwischen humanitären und kriegswirtschaftlichen Zielsetzungen bestand, was nicht ohne Auswirkungen auf das Schicksal der Betroffenen blieb.

In der Untersuchung werden zunächst die Hintergründe der Lösegelderpressungen, d.h. die wirtschaftlichen Voraussetzungen der jüdischen Zwangsemigration aus dem Deutschen Reich sowie die aussenpolitischen Voraussetzungen der schweizerischen Schutzmachtfunktion, behandelt. Danach wird die Situation in den Niederlanden mit den verschiedenen Etappen der Lösegelderpressungen vor dem Hintergrund von Judenverfolgung und Judenmord skizziert. In einem weiteren Kapitel werden der Kenntnisstand der Alliierten sowie ihre Politik der «Schwarzen Liste» dargelegt. Anschliessend wird den Tätigkeiten der Schweizer Intermediäre – Privatpersonen, Rechtsanwälte, aber auch Banken – nachgegangen, und die Haltung der Schweiz wird im Hinblick auf neutralitätspolitische Implikationen, aber auch auf die Wahrnehmung der Vorgänge in den Niederlanden hin analysiert. Am Schluss steht ein knapper Ausblick auf die Nachkriegszeit.

Zusammenfassend lassen sich folgende Ergebnisse festhalten: Die grosse Zahl aktenkundiger Fälle von Lösegelderpressungen verweist auf den hohen Stellenwert von bezahlten Ausreisegenehmigungen für die Politik des «Dritten Reiches». In rund der Hälfte aller Fälle lassen sich Verbindungen zur Schweiz nachweisen. Es wurden jedoch nur wenige Freikäufe realisiert. Dies liegt in erster Linie daran, dass das NS-Regime der Vernichtung der Juden Vorrang vor deren «Verkauf» gab. Hinzu kam das harte Eingreifen der Alliierten mit Massnahmen des Wirtschaftskrieges. Schliesslich traten die Alliierten auch im Rahmen des Zivilgefangenenaustauschs in vielen Fällen nicht ohne Vorbehalte auf die deutschen Angebote ein, was das deutsche Interesse am Austausch verringerte.

Die schweizerischen Behörden befassten sich nur am Rande mit den Lösegelderpressungen. Als Schutzmacht nutzte die Schweiz in einigen Fällen ihren Handlungsspielraum und verhalf damit einzelnen Juden zur Flucht in Drittländer. Der Finanzplatz diente solange als Drehscheibe für die Lösegelder, bis die alliierten Gegenmassnahmen griffen. Die Beweggründe der auf den verschiedenen Ebenen tätigen schweizerischen Intermediäre können jeweils nur im Einzelfall näher bestimmt werden. Sie schwankten zwischen den Extremen einer auf den eigenen Profit bedachten Kollaboration mit NS-Deutschland einerseits und dem humanitären Engagement andererseits.