UNABHÄNGIGE EXPERTENKOMMISSION
SCHWEIZ - ZWEITER WELTKRIEG

Die Schweiz und die Goldtransaktionen im Zweiten Weltkrieg: Zwischenbericht

Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze

Bern/Zürich, 25.5.1998. Die Unabhängige Expertenkommission: Schweiz - Zweiter Weltkrieg hat am Montag in Zürich ihren Zwischenbericht zum Thema «Die Schweiz und die Goldtransaktionen im Zweiten Weltkrieg» veröffentlicht. Der Bericht behandelt in erster Linie die Rolle der Schweiz als Umschlagplatz für Gold aus dem Machtbereich des Dritten Reichs. Er beruht auf Forschungsarbeiten, welche die Kommission in den vergangenen Monaten in öffentlichen und privaten Archiven im In- und Ausland durchführte.

Die auf Beschluss des schweizerischen Parlaments vom Bundesrat Ende 1996 eingesetzte Kommission hatte bereits im vergangenen Dezember eine kommentierte statistische Übersicht vorgelegt, die an der Konferenz über das Nazigold in London internationale Beachtung fand.

Der vorliegende Zwischenbericht untersucht Herkunft und Verwendung des Goldes, das sich NS-Deutschland in seinem Machtbereich aneignete und grossenteils über die Schweiz an Drittstaaten sowie die Schweiz selbst verkaufte. Besondere Aufmerksamkeit findet die Politik der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die während des Kriegs deutsche Goldlieferungen für 1,6 bis 1,7 Milliarden Franken übernahm und davon einen Betrag von rund 1,2 Milliarden Franken oder umgerechnet 280 Millionen Dollar auf eigene Rechnung erwarb.

Aufgrund von Dokumenten, die 1997 in den USA wieder zum Vorschein kamen, hat die Kommission neue Werte für das Gold aus Konzentrations- und Vernichtungslagern errechnet, welches über die Deutsche Reichsbank in die Schweiz gelangte. Der Betrag des Goldes, das aus Lieferungen des SS-Hauptsturmführers Bruno Melmer stammte und vom deutschen Währungsinstitut auf sein Depot bei der SNB in Bern geliefert wurde, umfasste 119,5, Kilogramm Feingold. Dies entsprach 134 428 Dollar oder umgerechnet 581 899 Franken. Die anderen Abnehmer waren die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, die Degussa und das Consorzio Esportazioni Aeronautiche. Wer das Opfergold, das die Reichsbank nach Bern versandte, anschliessend erwarb, ist nicht bekannt. Hinweise darauf, dass die SNB von der genauen Herkunft dieses Goldes Kenntnis hatte, liegen keine vor.

Indes wussten die verantwortlichen Entscheidungsträger der SNB schon 1941, dass die Reichsbank über geraubtes Gold von den Zentralbanken aus den besetzten Gebieten verfügte. Deshalb erwogen sie 1942 auch die Umschmelzung von Gold aus deutschen Lieferungen, um dessen Herkunft zu verschleiern. Obwohl den Verantwortlichen der SNB bekannt war, unter welchen Umständen sich die Reichsbank Gold aus Belgien und den Niederlanden aneignete, und trotz Warnungen der Alliierten setzte sich die SNB zusammen mit Schweizer Banken und Versicherungen noch bis in die letzten Kriegsmonate erfolgreich für die Übernahme von Gold aus Deutschland ein. Im Vordergrund standen die Interessen zahlreicher Finanzgläubiger in der Schweiz. Faktisch umging man dabei die Vereinbarungen, welche die Schweiz mit den Alliierten im Rahmen des Currie-Abkommens von März 1945 getroffen hatte.

Die schweizerische Notenbank liess sich in ihrer Gold- und Währungspolitik nicht vom Gewinnmotiv leiten. Vielmehr bezweckte sie primär die Aufrechterhaltung der Golddeckung und der Konvertibilität des Frankens, die Sicherung der Landesversorgung und der Funktionsfahigkeit des schweizerischen Finanzplatzes.

Die von der SNB vorgebrachten Rechtfertigungen für ihre Goldübernahmen von der Reichsbank können aus heutiger Sicht nicht überzeugen. Die Argumente der Gutgläubigkeit und der neutralitätspolitischen Verpflichtung zu den Goldübernahmen sind nicht stichhaltig. Vorbehalte sind auch bei der Frage anzubringen, ob die SNB das Gold von der Reichsbank mit der Absicht übernahm, dadurch das Dritte Reich von einer Invasion der Schweiz abzuhalten. Festzuhalten ist dazu, dass die SNB solche Überlegungen erst ab 1943 als Motiv für ihre Goldübernahmen aus Deutschland bezeichnete.

Der vorliegende Bericht erscheint in deutscher, englischer, französischer und italienischer Sprache. Er wird demnächst im Buchhandel und auf Internet erhältlich sein.

Die wichtigsten Zahlen auf einen Blick

Fast vier Fünftel (79 Prozent) aller Goldtransfers ins Ausland wickelte die Reichsbank über die Schweiz ab. Davon entfielen anteilsmässig 87 Prozent auf die SNB und 13 Prozent auf schweizerische Geschäftsbanken. Die Goldlieferungen der Reichsbank an die SNB bezifferten sich je nach Berechnung auf insgesamt 1,6 bis 1,7 Milliarden Franken. Von diesem Betrag erwarb die SNB während des Kriegs per Saldo Gold für 1211,6 Millionen Franken oder umgerechnet 279,9 Millionen Dollar auf eigene Rechnung.

Gestützt auf die Lager- und Speditionsbuchhaltung der Reichsbank (Mikrofilme in den U.S. National Archives) veranschlagt die Kommission die physischen Goldtransfers der Reichsbank an Schweizer Geschäftsbanken ab Kriegsausbruch auf gut 50 Tonnen Feingold im Wert von 244 Millionen Franken (56 Millionen Dollar). Solche Goldsendungen fanden bis Anfang Oktober 1941 statt, also bis zu jenem Zeitpunkt, als die SNB die Reichsbank aus währungspolitischen Überlegungen ersuchte, Gold nur noch an das schweizerische Noteninstitut zu liefern. Bei etwa drei Fünfteln der Lieferungen an die Geschäftsbanken handelte es sich um Gold sowjetischer Provenienz, das via Berlin in die Schweiz transportiert wurde.