(Veröffentlichungen der UEK, Band 20, Bestellung direkt beim Chronos Verlag)

«Arisierungen» in Österreich und ihre Bezüge zur Schweiz. Beitrag zur Forschung

Gregor Spuhler, Ursina Jud, Peter Melichar, Daniel Wildmann

Zusammenfassung

Die Beteiligung von Schweizern an der «Arisierung» der Wirtschaft im nationalsozialistischen Machtbereich war – abgesehen von der Tabakindustrie – bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre kein Thema der historischen Forschung. Die Frage nach Vermögenswerten, die im Zuge der «Arisierung» in die Schweiz gelangten, gehört zum Kern des Mandats der UEK und wird deshalb in verschiedenen Studien behandelt. Der vorliegende Forschungsbeitrag setzt den Akzent auf die Übertragung von Firmeneigentum und konzentriert sich aus folgenden Gründen auf die Ereignisse in Österreich: Erstens setzte die Verdrängung der Juden aus der österreichischen Wirtschaft unmittelbar nach dem «Anschluss» mit brachialer Gewalt ein und war nach wenigen Monaten abgeschlossen; die rechtliche Fragwürdigkeit der unter verfolgungsbedingtem Druck oder gesetzlichem Zwang zustandegekommenen Firmenübernahmen, Entlassungen und Enteignungen war für Schweizer 1938/39 also klar erkennbar. Zweitens ist der grösste Teil der für Österreich relevanten Akten in Wien zentral archiviert und gut zugänglich. Drittens bestand die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der Österreichischen Historikerkommission, die mehrere Forschungsprojekte zur «Arisierung» lanciert hatte.

Die vorliegende Untersuchung bemüht sich um einen systematischen Zugang zu den Problemen, die mit der Verdrängung der Juden aus dem österreichischen Wirtschaftsleben verbunden sind, und will über die Präsentation von Einzelfällen hinaus strukturelle Zusammenhänge zwischen der Schweiz und der «Arisierung» aufzeigen. Nach der Einleitung gibt sie einen Überblick über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Österreich sowie über die Folgen des «Anschlusses» für die jüdische Bevölkerung Österreichs. Kapitel 3 widmet sich dem Schutz des in Österreich befindlichen Eigentums von jüdischen Schweizern. Kapitel 4 präsentiert zwanzig Fälle, in denen Schweizer Privatpersonen und Unternehmen als Käufer, Verkäufer, Gläubiger, Schuldner und Vermittler an der Überführung jüdischen Eigentums in «arische» Hände beteiligt waren. Kapitel 5 synthetisiert die Ergebnisse unter einer neuen Perspektive: In welcher Weise war der schweizerische Staat, in welcher Weise waren Schweizer Privatpersonen und Unternehmen in den Kampf um das Eigentum der österreichischen Juden involviert?
er «Arisierung» konfrontiert, wo es um den diplomatischen Schutz von Schweizer Staatsbürgern und deren Eigentum ging. Zudem mussten sie sich im Bereich des Warenverkehrs damit auseinandersetzen, dass die im Exil befindlichen österreichischen Gläubiger darum baten, ihre Schweizer Warenschuldner sollten die geforderten Beträge in ihren aktuellen Aufenthaltsstaat und nicht nach Österreich überweisen, wo sie meistens verloren waren. Ausserdem wurden diese Forderungen oftmals von den «arischen» Geschäftsnachfolgern bestritten, weshalb Schweizer Gerichte über die Berechtigung solcher widerstreitender Ansprüche entscheiden mussten. Da in derartigen Fragen die Herausbildung einer konsistenten Praxis gefordert war, sind zum staatlichen Handeln verallgemeinernde Aussagen möglich.

Alle schweizerischen Inhaber von kleineren und mittleren Gewerbebetrieben in Wien waren angesichts von Boykotten und behördlichen Schikanen gezwungen, ihre Geschäfte innerhalb weniger Monate zu liquidieren oder zu verkaufen und wurden dafür weit unter dem Wert entschädigt. Dagegen konnten in schweizerischem Besitz befindliche Immobilien besser, wenn auch nicht vollumfänglich, geschützt werden. Der schweizerische Generalkonsul in Wien zeigte ein erhebliches Engagement zugunsten der betroffenen Schweizer und konnte in einigen Fällen Erfolge erzielen. Allerdings blieb ihm die Unterstützung von seinen vorgesetzten Stellen untersagt, was insofern von Bedeutung war, als die deutschen Behörden 1938/39 diplomatische Schwierigkeiten zu vermeiden suchten und bei entschlossenem Widerstand öfters zurückwichen. Dies wird auch an deren Reaktion auf die Haltung der Schweizer Gerichte deutlich, die die Ansprüche österreichischer Juden gegenüber den Forderungen sogenannter kommissarischer Verwalter schützten. Weil die Niederlage in solchen Prozessen international beachtet werde und das Ansehen schädige, erteilten die deutschen Behörden den kommissarischen Verwaltern Weisung, keine Prozesse im Ausland anzustrengen, um die in der Schweiz befindlichen Vermögenswerte und Forderungen enteigneter jüdischer Eigentümer zu erhalten. Die Schweizerische Verrechnungsstelle zeigte sich dagegen weit weniger sensibel als die Justiz und setzte unter Berufung auf das mit Deutschland bestehende Abkommen durch, dass – abgesehen von einigen Ausnahmen – die gegenüber Schweizer Schuldnern bestehenden Forderungen nach Österreich und nicht den ursprünglichen Eigentümern ins Exil überwiesen wurden.

Die Beteiligung von Schweizer Unternehmen und Privatpersonen an «Arisierungen» im Zuge privatrechtlicher Transaktionen entzog sich weitgehend der Kontrolle durch den Schweizer Staat. Die unterschiedlichen Einzelfälle sind in ihrer Besonderheit nicht geeignet, generelle Thesen zur Schweizer Beteiligung an «Arisierungen» zu formulieren. Allerdings zeichnen sich gewisse Muster ab. Die mit Tochterunternehmen in Österreich vertretenen Industriefirmen konnten, sofern sie wegen ihrer Personalstruktur oder ihrer Eigentumsverhältnisse als jüdisch galten, sich dem Zwang zur «Arisierung» längerfristig nicht entziehen. Auffällig ist jedoch, dass der Kauf jüdischen Firmenkapitals durch die Schweizer (Mit-)Eigentümer und die Entlassung jüdischer Direktoren und Verwaltungsräte in vielen Fällen schon in den ersten Tagen nach dem «Anschluss» erfolgten, dass über die Anpassung der eigenen Firma an die neuen Verhältnisse hinaus auch der Erwerb österreichischer jüdischer Firmen – mit unterschiedlichem Erfolg – versucht wurde, und dass sich mehrere dieser Firmen nach dem Krieg mit Rückerstattungsforderungen konfrontiert sahen oder solche zumindest befürchteten.

Schweizer Banken hatten keine Niederlassungen in Österreich. Sie sahen sich zum einen damit konfrontiert, dass die Nachfolger jüdischer Firmeninhaber Ansprüche auf die bei ihnen liegenden Vermögenswerte erhoben. Die Banken lehnten es ab, die Forderungen kommissarischer Verwalter konsequent zu ignorieren, da sie ihre Interessen in Deutschland nicht gefährden wollten. Allerdings waren sie an der Rechtsgültigkeit ihrer schuldbefreienden Auszahlungen interessiert, weshalb sie im Zweifelsfall die umstrittenen Guthaben bei Gericht hinterlegten und der Justiz den Entscheid überliessen. Zum andern waren Schweizer Banken als Gläubiger stark von der Verdrängung der Juden aus der deutschen Wirtschaft betroffen. Zwar kann die Frage, wie sich die Banken gegenüber ihren Schuldnern verhielten, noch nicht generell beantwortet werden, doch gibt es Hinweise darauf, dass sie primär ihre ausstehenden Forderungen sicherstellen wollten und keine Rücksicht darauf nahmen, dass ihre Schuldner vertrieben, verhaftet und enteignet wurden.

Von besonderer Bedeutung waren schliesslich zum einen die in der Schweiz domizilierten Finanzgesellschaften und zum anderen die Berufsgruppe der Anwälte. Schweizer Anwälte traten aus äusserst unterschiedlichen Gründen sowohl als Kaufinteressenten wie auch als Intermediäre auf; allgemeine Aussagen sind deshalb kaum möglich. Die Analyse der in «Arisierungen» involvierten Finanzgesellschaften erfordert weitläufige Recherchen, waren diese Gesellschaften doch oftmals von vornherein darauf angelegt, Risiken international zu verteilen, steuerliche Vorteile zu nutzen und teilweise auch Eigentumsverhältnisse zu verschleiern. Es gibt jedoch deutliche Hinweise darauf, dass die Existenz einer Schweizer Finanzgesellschaft den Handlungsspielraum für die Verfolgten erweitern konnte, da die Verhandlungen nun die Grenzen des NS-Machtbereichs überschritten und es für die deutschen Behörden schwierig war, eine Schweizer Aktiengesellschaft zu enteignen. Dieser Schutz bestand jedoch nur, wenn die betroffenen Personen sich schon im Ausland in Sicherheit befanden und nicht durch inhaftierte Verwandte oder Freunde erpressbar waren.