(Veröffentlichungen der UEK, Band 19, Bestellung direkt beim Chronos Verlag)

Die Schweiz, der Nationalsozialismus und das Recht.
II. Privatrecht

UEK (Hg.)

Zusammenfassungen


Der Handel mit ausländischen Wertpapieren während des Krieges und die Probleme der deutschen Guthaben in der Schweiz sowie der nachrichtenlosen Vermögen aus rechtlicher Sicht

Frank Vischer

Die Untersuchung beleuchtet verschiedene rechtliche Aspekte des Handels mit ausländischen Wertpapieren während des Zweiten Weltkriegs, das Problem der deutschen Guthaben in der Schweiz sowie der nachrichtenlosen Vermögen. Inhaltliche Schwerpunkte bilden u.a. die Restitutionsgesetzgebung der Schweiz von 1945/46, das Washingtoner Abkommen vom 25. Mai 1946 sowie der Bundesbeschluss vom 20. Dezember 1962. Einleitend wird auf die Rechtsquellen in der Schweiz vor den Bundesratsbeschlüssen von 1945/46 hingewiesen.

Auf der Grundlage des Vollmachtenrechts hatte der Bundesrat bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs keine zivilrechtlichen Sondervorschriften erlassen, die den Handel mit gestohlenen oder konfiszierten Wertpapieren oder beweglichen Sachen betrafen. Dasselbe gilt bis zum Bundesratsbeschluss vom 20. Dezember 1962 für die nachrichtenlosen Vermögen. Für alle Rechtsfragen bezüglich Raubgut galt bis zum Bundesratsbeschluss vom 10. Dezember 1945 (Raubgutbeschluss) die sachenrechtliche Ordnung des schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) mit seinen Bestimmungen über den gut- oder bösgläubigen Erwerb von beweglichen Sachen sowie von Geld und Inhaberpapieren (Art. 933–936 ZGB). Für die nachrichtenlosen Vermögen galten die Bestimmungen des Obligationenrechts, insbesondere über die Verjährung und über die für den Bankenverkehr wesentlichen Verträge.

Im fraglichen Zeitraum war das Recht des Handels an den schweizerischen Börsen eidgenössisch nicht geregelt. Dem Bund fehlte deshalb grundsätzlich die Möglichkeit, in den Wertschriftenhandel an der Börse regulierend einzugreifen. Während des Zweiten Weltkriegs hätte der Bundesrat allerdings auf Grund des Notrechts besondere Vorschriften zum Schutz der durch die deutsche Besetzungsmacht enteigneten Besitzer erlassen können. Er hat einen solchen Schritt wohl in erster Linie aus politischen Gründen nicht getan. Allerdings führte die Börse selbst sogenannte Affidavits. So wurde im Dezember 1940 der offizielle Börsenverkehr mit niederländischen, französischen, polnischen, dänischen und norwegischen Titeln nur dann freigegeben, wenn sie mit einem Affidavit versehen waren, das bestätigte, dass der Titel seit dem 2. September 1939 ununterbrochen im Eigentum von in der Schweiz domizilierten Schweizerbürgern oder von juristischen Personen bzw. Handelsgesellschaften mit Sitz in der Schweiz gewesen war. Das Affidaviterfordernis bezog sich allerdings nur auf den Handel an der Börse, so dass im ausserbörslichen Bereich auch Titel ohne Schweizer Besitz-Erklärung die Hand wechselten. Später wurden Wertpapiere auch mit den Affidavits L1 an der Börse gehandelt, welche nur das Schweizer Eigentum seit dem 1. Juni 1944 bezeugten.

Unmittelbar nach Kriegsende hat die Schweiz mit drei Bundesbeschlüssen versucht, die Rückforderung von in kriegsbesetzten Gebieten durch die Okkupationsmacht entwendeter Vermögenswerten zu erleichtern. Im Zentrum stand der Bundesratsbeschluss vom 10. Dezember 1945 (Raubgutbeschluss). Nach diesem Sondergesetz konnte der gutgläubige Erwerber, der zur Rückgabe verpflichtet war, vom bösgläubigen Veräusserer die Rückerstattung des bezahlten Kaufpreises erlangen. Die Schweiz war dann entschädigungspflichtig, wenn der Verkäufer oder sein Vorgänger – in der Regel eine schweizerische Bank – gutgläubig war und diese Titel von einer ausländischen Bank oder einem ausländischen Verkäufer erworben hatte, die in der Schweiz nicht belangt werden konnte. Die Frage der Gutgläubigkeit war dabei nach der allgemeinen Bestimmung von Art. 3 ZGB zu beurteilen.

Schweizer Banken führten im fraglichen Zeitraum Aufträge zur Überweisung von Guthaben und Übersendung von Titeln auf Spezialkonti deutscher oder österreichischer Banken aus, wenn der ausländische Kunde selbst einen solchen Auftrag unterzeichnet hatte oder der Bevollmächtigte sich über eine gültige Vollmacht ausweisen konnte. Es ist davon auszugehen, dass die Unterzeichnung solcher Aufträgen durch NS-Opfer sehr oft unter Zwang und Drohung erfolgte. Aus rechtlicher Sicht gilt grundsätzlich, dass Banken Aufträge ihrer Kunden ohne Verzögerung auszuführen haben. Allerdings wären die Banken nach Treu und Glauben gehalten gewesen, die Ausführung von Verträgen zu verweigern, wenn sie Grund zur Annahme hatten, dass der Auftrag des Kunden widerrechtlich erzwungen worden war.

Nach Kriegsende stellte sich die Frage nach der Behandlung der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz. Dabei stellte sich die Schweiz auf den Standpunkt, dass die Ansprüche der Alliierten nach einer entschädigungslosen Enteignung der deutschen Vermögenswerte in einem krassem Widerspruch zum schweizerischen Ordre public stünden. Unter massivem Druck der Alliierten verpflichtete sich die Schweiz im Washingtoner Abkommen von 1946 dann allerdings dazu, die in der Schweiz liegenden Vermögenswerte aller Art von in Deutschland lebenden Deutschen zu liquidieren. Es ist aber hervorzuheben, dass in der Frage der deutschen Vermögen das Washingtoner Abkommen nicht seinem Inhalt entsprechend durchgeführt wurde.

Das Rechtsgutachten behandelt abschliessend die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit den nachrichtenlosen Vermögen. Zu den untersuchten Rechtsproblemen gehören die Eröffnung der Konten und Depots, die Verjährung des Rückgabeanspruchs, die Aktenaufbewahrungspflicht, die Verzinsung der Geldeinlagen, die Verwaltungspflichten der Banken und die Frage der Pflicht zur Nachforschung nach dem Kunden. Vor Inkraftsetzung des Bundesbeschlusses vom 20. Dezember 1962 (Meldebeschluss) wurden diese Fragen durch die ordentlichen Regeln des schweizerischen Obligationen- und Zivilrechts geregelt. Der Meldebeschluss verpflichtete schliesslich alle Vermögensverwalter in der Schweiz, Vermögenswerte anzumelden, von denen seit dem 9. Mai 1945 zuverlässige Nachrichten fehlten, und von denen man vermutete, dass die letztbekannten Eigentümer Opfer rassischer, religiöser oder politischer Verfolgung geworden waren. Nach Ablauf der zehnjährigen Geltungsdauer des Bundesbeschlusses galten wiederum allein die Vorschriften des schweizerischen Zivilgesetzbuches und des Obligationenrechts.


Die Rechtsprechung der schweizerischen Gerichte im Umfeld des nationalsozialistischen Unrechtsregimes auf dem Gebiet des Privatrechts, unter Einschluss des internationalen Zivilprozess- und Vollstreckungsrechts (Schwerpunkt Ordre public)

Adolf Lüchinger

Die Untersuchung befasst sich mit der Grundsatzfrage, wie sich die Konfrontation mit dem nationalsozialistischen Unrechtsregime auf die Urteilsfindung der kantonalen Gerichte und des Bundesgerichts im Bereich des Privatrechts auswirkte. Im Vordergrund steht die Anwendung der Ordre-public-Klausel in der Gerichtspraxis. Untersucht werden insbesondere Urteile im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Zwangsverwaltung, der Erbunfähigkeit von Juden im NS-Zivilrecht sowie der Enteignung von Versicherungsansprüchen. Zudem wird die Rechtsprechung zur Frage der Vollstreckung deutscher Urteile in der Schweiz dargestellt. Die Studie beginnt mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen zu den Funktionen des Ordre public im Internationalen Privatrecht der Schweiz.

Die Frage nach dem Ordre public stellt sich, wenn der schweizerische Richter entweder einen Streitfall selber nach fremdem Recht zu beurteilen hat oder wenn er über die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils in der Schweiz entscheiden muss. In beiden Fällen ist die Beachtung des ausländischen Rechts an den Vorbehalt des Ordre public geknüpft, was bedeutet, dass sie im Ergebnis nicht fundamentalen Grundsätzen der eigenen Rechtsordnung widersprechen darf. Der Ordre public bildet somit eine Schranke gegenüber der Anwendung des nach dem Internationalen Privatrecht der Schweiz massgebenden ausländischen Rechts; die gleiche Funktion erfüllt der Ordre public gegenüber ausländischen Urteilen, die in der Schweiz anerkannt und vollstreckt werden sollen.

Die Anerkennung und Vollstreckung deutscher Urteile in der Schweiz richtete sich nach dem Abkommen zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheiden und Schiedssprüchen vom 2. November 1929. Danach waren rechtskräftige deutsche Urteile in der Schweiz grundsätzlich ohne Nachprüfung ihres Inhalts anzuerkennen, sofern die deutschen Gerichte nach den Bestimmungen des Staatsvertrags für die Beurteilung der Streitsache zuständig waren. Vorbehalten blieb nach Art. 4 Abs. 1 des Abkommens allerdings der Ordre public. Auf diese Klausel beriefen sich die Schweizer Gerichte, um die Vollstreckung von justitiellem NS-Unrecht in der Schweiz zu verhindern. In der Untersuchung erwähnt wird der Fall UFA gegen Thevag, den das Bundesgericht 1936 zu beurteilen hatte. In diesem Fall weigerte sich das Gericht, ein vertragliches Rücktrittsrecht der Universum-Film-Aktiengesellschaft (UFA) wegen der «Rassenzugehörigkeit» des Filmregisseurs Erich Löwenberger anzuerkennen: eine solche Auslegung der streitigen Vertragsklausel widerspreche der Gleichheit aller Bürger vor Gesetz als tragendem Grundsatz der schweizerischen Rechtsordnung (Art. 4 der Bundesverfassung von 1874) und verstosse somit klar gegen den schweizerischen Ordre public. Auch im Fall Gustav Hartung gegen Volksstaat Hessen versagte das Bundesgericht mit Urteil vom 17. September 1937 der NS-Willkürjustiz die Vollstreckung in der Schweiz: Es betrachtete die Verweigerung einer Entschädigung an den Leiter der staatlichen Bühne in Darmstadt, der infolge des nationalsozialistischen Regimes fristlos entlassen wurde, als Verstoss gegen den Ordre public im Sinne des deutsch-schweizerischen Vollstreckungsabkommens.

Ein Mittel der Enteignungs- und Beraubungspolitik des NS-Regimes gegenüber den Juden war die Unterstellung von «jüdischen Unternehmen» unter staatliche Zwangsverwaltung. In den untersuchten Fällen weigerten sich die schweizerischen Gerichte, dieser Massnahme rechtliche Wirkung in bezug auf Vermögenswerte in der Schweiz zuzuerkennen. So stellte das Zürcher Obergericht im Fall Thorsch fest, die Einrichtung der Zwangsverwaltung widerspreche dem Ordre public, da sie in ihrer Wirkung einer entschädigungslosen Enteignung gleichkomme. Deutlich zum Ausdruck gebracht wurde die Ordre-public-Widrigkeit der NS-Zwangsverwaltung im Urteil des Bundesgerichts vom 22. Dezember 1942 in Sachen Böhmische Unionbank gegen Heynau: Es handle sich dabei um eine Massnahme, die im krassen Widerspruch zu den Prinzipien des Eigentumsschutzes und der Gleichheit als Grundnormen der schweizerischen Rechtsordnung stehe.
Nicht weniger konsequent urteilten die Gerichte hinsichtlich der Erbunfähigkeit von Juden im «Dritten Reich». In einem Fall, den das Obergericht des Kantons Zürich am 25. September 1942 zu beurteilen hatte, ging es um die Geltendmachung von Erbschaftsansprüchen in der Schweiz durch die in London wohnenden Nachkommen eines jüdischen Erblassers, der in Deutschland verstorben war. Die Erben hatten Vermögenswerte des Nachlasses in der Schweiz mit Arrest belegt und gegen die in Berlin wohnhaften Nachkommen auf Herausgabe ihres Erbanteils geklagt. Diese beriefen sich auf die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941, wonach Vermögen und Erbansprüche ausgebürgerter Juden dem Reich zufielen. Das Obergericht des Kantons Zürich hiess die Klage gut mit der Begründung, diese Verordnung verstosse gegen das Gleichheitsprinzip als «Fundamentalsatz» der schweizerischen Rechtsverordnung (Ordre public) und sei somit für den Schweizer Richter unbeachtlich.

Schliesslich beleuchtet das Rechtsgutachten die Rechtsprechung der Schweizer Gerichte im Zusammenhang mit der Enteignung von Versicherungsansprüchen im «Dritten Reich». Besondere Bedeutung kommt dabei dem Bundesgerichtsurteil in Sachen Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt gegen Julius Elkan zu. Elkan – ein deutscher Jude, der mit der Schweizerischen Lebens- und Rentenanstalt eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte – erhob nach dem Krieg in der Schweiz Klage auf Feststellung, dass die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt durch die Überweisung des Rückkaufswertes der Lebensversicherung an die deutschen Behörden ihre Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag nicht erfüllt habe. Anders als das Zürcher Obergericht kam das Bundesgericht in seinem Urteil zum Schluss, die Befreiung der Schweizerischen Rentenanstalt von ihren Verpflichtungen gegenüber Elkan stelle keinen Verstoss gegen den schweizerischen Ordre public dar.

ielmehr sei zu berücksichtigen, dass in casu ein abgeschlossener Rechtseingriff vorliege, der nicht rückgängig gemacht werden könne. Der Autor äussert Zweifel an der Richtigkeit des Bundesgerichtsentscheides, wobei er insbesondere darauf hinweist, dass mit der Tätigkeit der beklagten Versicherungsgesellschaft in NS-Deutschland unweigerlich besondere Risiken – so auch die Gefahr einer Doppelzahlung – verbunden waren.


Rechtsfragen zum Handel mit geraubten Kulturgütern in den Jahren 1933–1950

Kurt Siehr

Die Untersuchung bezieht sich auf Rechtsfragen zum Handel mit geraubten Kulturgütern in den Jahren 1933–1950. Im ersten Teil des Rechtsgutachtens wird die – im fraglichen Zeitraum geltende – Rechtslage in der Schweiz dargestellt, wobei die privatrechtlichen Grundsätze zum derivativen Erwerb vom Nichtberechtigten sowie der Raubgutbeschluss vom 10. Dezember 1945 im Vordergrund stehen. Der zweite Teil der Untersuchung befasst sich mit den Grundprinzipien der Rückführung von Kulturgütern, wie sie in verschiedenen ausländischen Staaten angewandt wurden und noch befolgt werden.

Das schweizerische Zivilgesetzbuch kennt einen abgeleiteten (derivativen) gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen vom Nichtberechtigten. Dabei sind zwei für den Handel mit Raubkulturgut relevante Situationen zu unterscheiden: Hat der rechtmässige Eigentümer den Kunstgegenstand einer Person anvertraut (freiwillige Aufgabe des Besitzes) und veräussert diese das Kulturgut an einen gutgläubigen Erwerber, so geht das Eigentumsrecht auf den Erwerber über (Art. 933 ZGB). Verliert der rechtmässige Eigentümer eines Kulturgutes unfreiwillig den Besitz an ihm, so erwirbt der gutgläubige Erwerber dieses Objekt nach einer Verwirkungsfrist von 5 Jahren (Art. 934 Abs. 1 ZGB). Eine Spezialregel gilt für den Erwerb durch öffentliche Versteigerungen (z.B. Kunstauktionen): ein solcher Erwerb wird insofern privilegiert, als der Besitzer vor Ablauf der fünfjährigen Verwirkungsfrist den Kunstgegenstand nur gegen Erstattung des von ihm bezahlten Preises dem Eigentümer herausgeben muss (Art. 934 Abs. 2 ZGB).

Aufgrund dieser zivilrechtlichen Regeln, die auch während der Zeit des Nationalsozialismus Geltung beanspruchten, konnte ein gutgläubiger Käufer «NS-Raubkunst» sofort oder nach einer Verwirkungsfrist von 5 Jahren rechtsgültig in der Schweiz erwerben. Als gutgläubig galt dabei nach Art. 3 Abs. 2 ZGB derjenige Käufer, dem das fehlende Bewusstsein über die illegale Herkunft des Raubguts nicht vorgeworfen werden konnte. Guter Glaube setzte somit eine bestimmte Sorgfalt voraus; trotz der Eigenheit der Kunstwerke als Unikate mit variablem Marktwert gingen die zeitgenössische Lehre und Rechtsprechung allerdings nicht von einer gesteigerten Sorgfaltspflicht des Kunsthändlers aus. Erst in jüngster Zeit hat sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Meinung durchgesetzt, dass beim Kunsthandel erhöhte Anforderungen an die Sorgfalt der Beteiligten zu stellen sind.

Vor dem Hintergrund verschiedener – während des Zweiten Weltkriegs abgegebener – Erklärungen und Übereinkommen der Alliierten (Londoner Erklärung vom 5. Januar 1943, Bretton Woods Übereinkommen vom 22. Juli 1944, «Currie-Abkommen» vom 8. März 1945, Kontrollratsgesetze von 1945) verabschiedete der Bundesrat am 10. Dezember 1945 den Beschluss betreffend Klagen auf Rückgabe in kriegsbesetzten Gebieten weggenommener Vermögenswerte (Raubgutbeschluss). Der Raubgutbeschluss räumte den beraubten Geschädigten die – auf den 31. Dezember 1947 befristete – Möglichkeit ein, gestohlene Kulturgüter herauszuverlangen, und dies unabhängig von der Gut- oder Bösgläubigkeit der gegenwärtigen Besitzer. Die herausgabeverpflichteten (gutgläubigen) Erwerber von gestohlenem Raubgut hatten gemäss Raubgutbeschluss Rückgriffsansprüche gegen die Veräusserer und hilfsweise einen Anspruch auf Entschädigung gegen die Eidgenossenschaft, wenn der bösgläubige Veräusserer zahlungsunfähig war oder in der Schweiz nicht belangt werden konnte.

Die Raubgutkammer des Bundesgerichts, welche gemäss Raubgutbeschluss für die Beurteilung von Raubgutklagen zuständig war, befasste sich in mehreren Raubgutprozessen mit Restitutions- bzw. Rückgriffsklagen. Die vom Autor untersuchten Restitutionsprozesse zeichneten sich dadurch aus, dass alle zurückgeforderten Kunstwerke gerichtlich angeordnet oder freiwillig zurückgegeben wurden. Bei den Regressprozessen gegen Kunsthändler und die Eidgenossenschaft wurde sowohl den Käufern als auch den Kunsthändlern die von ihnen geltend gemachte Gutgläubigkeit anerkannt; nur bei der Bemessung der Entschädigung durch die Eidgenossenschaft wurde die Nachlässigkeit der Kunsthändler schadensmindernd berücksichtigt.

Der Autor analysiert im zweiten Teil der Untersuchung die Grundprinzipien der Rückführung von Kunstgütern (Regelungsmodelle), wie sie in verschiedenen ausländischen Staaten Anwendung finden. Dabei kommt er zum Schluss, dass sich die Schweiz gegenüber Rückgabebegehren nicht anders gestellt hat als andere Staaten in vergleichbarer Situation.


Die Geschäftstätigkeit der Schweizer Lebensversicherer im «Dritten Reich». Rechtliche Aspekte und Judikatur

Eric L. Dreifuss

Im ersten Teil der Untersuchung werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit der Schweizer Versichungsgesellschaften in Deutschland zur Zeit der NS-Diktatur und nach Kriegsende dargestellt. Im zweiten Teil beleuchtet das Rechtsgutachten diverse Aspekte einer rechtlichen Beurteilung der Geschäftstätigkeit der Schweizer Lebensversicherer in Deutschland. Im Zentrum stehen dabei der Abschluss und die Umwandlung von Fremdwährungspolicen sowie die Konfiskation von Lebensversicherungspolicen im «Dritten Reich».

Wichtig für die Beurteilung der Geschäftstätigkeit der Schweizer Lebensversicherer im «Dritten Reich» ist die Frage, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen die Geschäftstätigkeit ausgeübt werden musste. Im Vordergrund steht dabei das massgebende Versicherungsaufsichtsrecht. Für die in Deutschland tätigen Versicherer galt im fraglichen Zeitraum das Gesetz betreffend die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen vom 12. Mai 1901 (VAG). Nach dem VAG unterstanden die Schweizer Versicherer als Versicherungsunternehmen mit überregionaler Bedeutung dem Reichsaufsichtsamt; zudem benötigten sie einen inländischen (deutschen) sogenannten Hauptbevollmächtigten mit Wohnsitz in Deutschland. In der Studie wird gezeigt, dass auf die von Schweizer Versicherern in Deutschland abgeschlossenen Verträge grundsätzlich das deutsche Versicherungsvertragsgesetz Anwendung fand.

Der Autor führt aus, dass wegen der instabilen wirtschaftlichen Verhältnisse im Deutschland der 1920er Jahre eine grosse Nachfrage nach Fremdwährungspolicen bestand. Die in Deutschland tätigen Schweizer Versicherer wurden deshalb mit zahllosen Anfragen von Personen konfrontiert, die eine auf Schweizerfranken lautende Lebensversicherung abschliessen wollten. Diese Nachfrage wurde von den Schweizer Versicherungen befriedigt. Diskutiert wird dabei die Frage, ob und inwiefern die Schweizer Gesellschaften wider besseres Wissen das Vertrauen erweckt hätte, dass die Vertragssumme dereinst unter allen Umständen in der vereinbarten Fremdwährung zur Auszahlung gelangen würde.

Die devisenrechtliche Anordnung des Jahres 1934 führte dazu, dass für die Prämienzahlung im Zusammenhang mit Fremdwährungspolicen keine Devisen mehr zur Verfügung standen. Die bestehenden Policen mussten daher entweder in prämienfreie Versicherungen oder in Reichsmarkversicherungen mit einem Fremdwährungsanteil in der Höhe der bereits in Valuta gebildeten Prämienreserven umgewandelt werden. Nach der rechtsgeschäftlichen Umwandlung der Fremdwährungspolicen folgte 1938 die gesetzliche Umwandlung, wodurch die noch bestehenden Fremdwährungsversicherungen vollumfänglich in Reichsmarkversicherungen umgewandelt wurden.

Der Autor diskutiert diesbezüglich u.a. die Frage, ob für die Schweizer Lebensversicherer ein rechtlicher Spielraum in der konkreten Handhabung des deutschen Devisenrechts bestand. Dabei unterscheidet er zwischen der Situation von 1934 und derjenigen von 1938. Die Versicherer hätten dem Buchstaben des massgeblichen Rundschreibens von 1934 nicht zuwider gehandelt, wenn sie die Umstellung nur angeboten, aber gleichzeitig nach für die Versicherungsnehmer adäquateren Alternativen gesucht hätten. 1938 war die Situation grundsätzlich eine andere: Das Umstellungsgesetz bewirkte die unmittelbare Umstellung der Fremdwährungsversicherungen in Reichsmarkversicherungen von Gesetzes wegen. Weiter befasst sich der Autor mit der Frage, ob die Umwandlungen mit den Vertragsbedingungen in Einklang standen. Wiederum ist zwischen zwei Situationen zu unterscheiden: 1934 waren die Versicherer lediglich gehalten, den Versicherungsnehmern die Umwandlung in Reichsmark vorzuschlagen; nahm der Versicherungsnehmer nicht an, änderte sich am Versicherungsvertrag nichts. Die Vollumstellung von 1938 erfolgte hingegen ex lege, so dass sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit den Vertragsbedingungen nicht stellte.

Die wirtschaftliche Ausbeutung der Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten manifestierte sich im Versicherungsbereich insbesondere in der Konfiskation von Lebensversicherungspolicen. Die deutschen Behörden bemächtigten sich der Werte aus Versicherungen von Juden, indem sie die Versicherungsgesellschaften dazu aufforderten, Versicherungsleistungen und Rückkaufsummen nicht mehr an die Versicherten, sondern direkt an die Finanzämter auszuzahlen. In diesem Zusammenhang stellen sich verschiedene Rechtsfragen, welche der Autor anhand von drei Gerichtsfällen diskutiert:

So fragt sich z.B., ob die Versicherungsgesellschaften aufgrund ihrer Treuepflicht gehalten waren, die Auszahlung zumindest zu verzögern. Zusammenfassend erscheint die Feststellung des deutschen Bundesgerichtshofes im Fall Sulzbacher als gerechtfertigt, dass ein Versicherer seine vertragliche Treuepflicht jedenfalls dann verletzte, wenn er «die Zahlung an den Oberfinanzpräsidenten allzu willfährig geleistet und nicht den geringsten Versuch zur Abwendung der Einziehung des Rückkaufswertes durch diesen unternommen habe».

Im Zusammenhang mit der Konfiskationen von Lebensversicherungspolicen im «Dritten Reich» ist zudem der Ordre public von besonderer Bedeutung. Das Zürcher Obergericht vertrat in seinem Urteil vom 27. Mai 1952 den Standpunkt, dass das Erlöschen der Versicherungsforderung des Klägers (Julius Elkan) «um des schweizerischen Ordre public willen in der Schweiz als nicht erfolgt gelten müsse». Das Bundesgericht teilte zwar die Meinung, dass die NS-Rassengesetzgebung grundsätzlich den schweizerischen Ordre public verletze, fügte aber hinzu, dass es nicht geboten sei, über den abgeschlossenen Rechtseingriff (vollendete Tatsachen) hinwegzusehen und der Versicherungsgesellschaft eine Pflicht zur Doppelzahlung aufzuerlegen.

Hinsichtlich des Bundesgerichtsentscheids im Fall Elkan gibt der Autor abschliessend zu bedenken, dass die Frage der Doppelzahlungspflicht auf Grund des Ordre public äusserst schwer zu beantworten sei. Dem richterlichen Ermessen dessen, was richtig und angemessen sei, komme in dieser Frage erhebliche Bedeutung zu. Aber gerade dort, wo das Ermessen eine Rolle spiele, sei für den Richter Anlass, auch mit moralischen Erwägungen in das normative Denken einzugreifen.