Historische und rechtliche Untersuchung des Schicksals der infolge der nationalsozialistischen Herrschaft in die Schweiz gelangten Vermögenswerte: Einsetzung der unabhängigen Expertenkommission

Der Schweizerische Bundesrat,

in Umsetzung des Bundesbeschlusses vom 13. Dezember 1996 betreffend die historische und rechtliche Untersuchung des Schicksals der infolge der nationalsozialistischen Herrschaft in die Schweiz gelangten Vermögenswerte,

beschliesst:

1. Gegenstand / Zweck
Die Untersuchung dient allgemein der historischen Wahrheitsfindung und soll Klarheit schaffen über den Umfang und das Schicksal der infolge der nationalsozialistischen Herrschaft in die Schweiz gelangten Vermögenswerte.

Im Rahmen des vom Bundesbeschluss vom 13. Dezember 1996 festgelegten Gegenstandes soll die Rolle der Schweiz, insbesondere des Schweizer Finanzplatzes untersucht werden, sowie der Umgang der Schweiz mit diesem Abschnitt ihrer Geschichte.

Zu diesem Zweck wird eine unabhängige Expertenkommission (Kommission) eingesetzt.

2. Auftrag
Untersuchungsgegenstand sind im einzelnen die in Art. 1, Abs. 1 und 2, des Bundesbeschlusses definierten Themenfelder. Die Untersuchungen schliessen auch die Nachkriegszeit, namentlich die nachfolgenden staatlichen Massnahmen (Washingtoner Abkommen, Meldebeschluss von 1962, usw.) wie auch die amtliche historische Aufarbeitung dieser Ereignisse mit ein. Die Arbeiten der Kommission können auch die Befragung von Zeitzeugen einschliessen.

2.1. Der Bundesrat wünscht im Zusammenhang mit dem vom Bundesbeschluss definierten Untersuchungsfeld die Untersuchung insbesondere der folgenden Themenbereiche:

2.1.1. Bedeutung des Goldhandels, der Devisengeschäfte, Rolle der Schweizerischen Nationalbank, Rolle der Privatbanken, Bedeutung der Vermögensverwaltung (sowohl von Opfern des Naziregimes wie auch von Deutschen und ihren Kollaborateuren). Wissensstand der Beteiligten betreffend die Herkunft von Vermögenswerten. Transit von Fluchtgeld durch die Schweiz in andere Staaten.

Handel mit Kunstwerken, Schmuck, usw. Umfang und Bedeutung dieses Handels mit Raubgut, Kenntnisstand über die Herkunft dieser Vermögenswerte.

Rolle der schweizerischen Rüstungsproduktion, Übernahme deutscher Betriebe durch schweizerische Unternehmen, namentlich im Rahmen der Arisierungsmassnahmen, Finanzierung der Export/Importgeschäfte.

2.1.2. Staatliche Massnahmen und rechtliche Grundlagen für Wirtschaft und Finanzplatz, soweit sie für diese Untersuchung relevant sind. Diesbezügliche Abkommen der Schweiz zu den Achsenmächten und den Alliierten. Behördliche Massnahmen zur Devisenhandelskontrolle, Bankenaufsicht, politische Kontrolle der SNB, Aus- und Einfuhrkontrollen, Kontrolle des Handels mit Kriegsmaterial.

Bedeutung der Flüchtlingspolitik im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen der Schweiz mit den Achsenmächten und den Alliierten.

2.1.3. Massnahmen zur Identifikation, Kontrolle, Rückgabe von Raubgut und Fluchtgeldern, Behandlung der nachrichtenlos gewordenen Vermögenswerte, Behandlung der Vermögenswerte aus den Achsenmächten. Massnahmen zur Rückgabe von geraubten Vermögenswerten an die Eigentümer, bzw. deren Nachkommen/Erben, Definitionen von Anspruchsberechtigungen.

2.1.4. Rechenschaftsberichte der Behörden über ihre Tätigkeit. Offizielle historische Aufarbeitungen, Reaktionen auf ausländische Quelleneditionen.

2.2. Der Bundesrat kann auf Antrag der Kommission oder von sich aus den Gegenstand der Untersuchung neuen Erkenntnissen oder den Arbeiten anderer Untersuchungskommissionen anpassen.

3. Berichterstattung
3.1. Spätestens nach fünf Jahren fasst die Kommission ihre Ergebnisse in einem Schlussbericht zuhanden des Bundesrates zusammen.

3.2. Die Kommission legt dem Bundesrat Ergebnisse zu abgeschlossenen Forschungsbereichen in Zwischenberichten vor.

3.3. Auf Anfrage des Bundesrates verfasst die Kommission Berichte zu besonderen Fragen.

3.4. Die Kommission informiert umgehend den Bundesrat, wenn sich im Laufe der Untersuchung konkrete Hinweise auf Vermögensansprüche nach Art. 2, Abs. 2 des Bundesbeschlusses ergeben.

3.5. Die Kommission orientiert den Bundesrat regelmässig, mindestens aber alle sechs Monate, über den Stand ihrer Arbeit.

3.6. Über alle Sitzungen der Kommission werden Protokolle erstellt, welche gesamthaft zusammen mit den übrigen Akten und mit dem Schlussbericht abzuliefern sind.

4. Zusammensetzung
4.1. Die Kommission konstituiert sich selbst.

Gewählt sind
als Präsident:
- Jean-François Bergier, Zug, Professor an der ETH Zürich
als Mitglieder:
- Wladyslaw Bartoszewski, Warschau
- Saul Friedlaender, Jerusalem
- Harold James, Princeton (USA)
- Georg Kreis, Basel
- Sybil Milton, Washington
- Jacques Picard, Bern
- Jakob Tanner, Bielefeld, Zürich
- Joseph Voyame, Saint Brais (JU)

5. Organisation
5.1. Die Mitglieder der Kommission stehen in einem Auftragsverhältnis zum Bund. Die entsprechenden Verträge werden durch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten, nach Konsultation des Eidgenössischen Finanzdepartements, abgeschlossen.

5.2. Die Kommission regelt ihr Entscheidungsverfahren.

5.3. Der Präsident, oder bei dessen Abwesenheit die StellvertreterInnen, vertreten die Kommission nach aussen.

5.4. Die Kommission legt ihre Arbeitsorganisation, den Zeitplan für ihre Arbeit und den Forschungsplan selber fest. Der Zeitplan berücksichtigt die unterschiedliche Dringlichkeit der verschiedenen Themenfelder.

5.5. Die Kommission richtet ein Sekretariat ein. Sie ernennt und entlässt ihr wissenschaftliches und administratives Personal im Namen des Bundes.

5.6. Die Anstellungen des wissenschaftlichen und administrativen Personals richten sich nach der Angestelltenordnung des Bundes oder nach der Verordnung über den öffentlichen Arbeitsvertrag in der allgemeinen Bundesverwaltung. Die Löhne sind mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement zu koordinieren.

5.7. Die Kommission kann Sachverständige zu ihren Sitzungen einladen, und deren Stellungnahmen oder Gutachten einholen. Sie formuliert die Mandate und setzt die Termine und die Entschädigung fest.

Die Sachverständigen unterstehen dem Amtsgeheimnis.

6. Verhältnis zur Bundesverwaltung
6.1. Administrativer Ansprechpartner der Kommission und ihres Personals in der Bundesverwaltung ist das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten.

6.2. Wissenschaftlich-historischer Ansprechpartner der Kommission und ihres Personals in der Bundesverwaltung ist das Eidgenössische Departement des Innern. Das Schweizerische Bundesarchiv stellt der Kommission Räume, Infrastruktur und Dienstleistungen zur Verfügung. Die Kommission und ihre MitarbeiterInnen geniessen prioritären Zugang zum Archivgut. Die Zusammenarbeit wird in einer Vereinbarung zwischen der Kommission und dem Schweizerischen Bundesarchiv geregelt.

7. Finanzielle Ressourcen
7.1. Der Kommission steht für die fünfjährige Untersuchungsperiode der vom Parlament bewilligte Verpflichtungskredit von 5 Millionen Franken zur Verfügung.

7.2. Für die Deckung der laufenden Ausgaben im Jahre 1997 verfügt die Kommision über einen Zahlungskredit von 2 Millionen. Sollte dieser Kreditbetrag nicht ausreichen, kann die Kommission beim EDA eine Erweiterung des Kredites bis maximal 1 Million beantragen.

7.3. Die Kommission führt eine Rechnungskontrolle und legt dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten einmal pro Jahr einen Bericht samt entsprechenden Belegen über die Beanspruchung des Kredites vor.

8. Amtsverschwiegenheit, Vertraulichkeit und Informationen
8.1. Die Mitglieder der Kommission und deren MitarbeiterInnen unterstehen dem Amtsgeheimnis.

8.2.1. Die Verwendung von Dokumenten und die Weitergabe von Informationen aus nicht öffentlich zugänglichen Aktenbeständen ist den Mitgliedern, Mitarbeitenden und Mandatsträgern der UEK ausserhalb ihres Mandats nur unter Einwilligung des Aktenherrn erlaubt.

8.2.2. Es ist den Mitgliedern, Mitarbeitenden und Mandatsträgern der UEK untersagt, nach Beendigung des Auftrags- bzw. des Arbeitsverhältnisses oder bei Auflösung der Kommission Materialien (Kopien von Dokumenten, Exzerpte usw.), die aus nicht öffentlich zugänglichen Aktenbeständen stammen, zu behalten.

8.3. Die Beratungen der Kommission und die Gesamtheit ihrer internen Dokumente sind vertraulich.

9. Auflösung
9.1. Mit der Veröffentlichung der Untersuchungsschlussergebnisse wird die Kommission aufgelöst.

10. Inkrafttreten
Dieser Beschluss tritt sofort in Kraft.
    Bern, den 19. Dezember 1996
     

     
     

     
     

Im Namen des Schweizerischen
Bundesrates

Der Bundespräsident
(Delamuraz)

Der Bundeskanzler
(i.V. Casanova)